Die Trennung

Als die Jungfrau Lilialinda
Meinen Wonnerausch bemerkte,
Dem ich, schwelgend im Genusse
Ihrer Reize, war verfallen:
Strahlte auch aus ihrem holden
Antlitz seliges Entzücken,
Und sie wollte eben, glaub' ich,
Mich an ihres Leibes Dolden,
An den keuschen Busen drücken.
Doch verwandelt plötzlich schien sie,
Als ich nun – ein Kind der Erde,
Welches weibliche Avancen
Solcher Art nicht dulden darf –
An der Schwelle dieser Kirche
Salomonis hin mich warf,
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Flehend: »Noch in dieser Stunde
Mußt', o Engel ohne Gleichen,
Du zum heil'gen Ehebunde
Am Altar die Hand mir reichen!«
Leichenblaß und tief erschüttert
Erst, dann stolz empor sich richtend
Und verächtlich auf die Gräfin,
Welche höhnisch lachte, blickend,
Winkte sie mir, ihr zu folgen,
Führte mich hinab zur Gasse,
Führte mich nach ihrer Wohnung,
Tugend-Holzweg Nr. 80;
Führte mich zu ihrer Mutter,
Flog an deren Hals und schluchzte,
Weinte heiße, bittre Thränen.
»Lilia! Lilchen! Armes Kindchen!«
Rief die Mutter, gleichfalls weinend,
»Wär' es möglich? Ruhig, Lindchen!
Hätte jener Fremde wirklich
Dich in Deiner Jugend Schöne
Sich zur Gattin auserkoren?«
[73]
»Ja,« war der Geliebten Antwort
Mit von Schmerz gebrochner Stimme,
»Ja, es ist geschehen, was ich,
Liegt mir fern auch eitles Wesen,
Nimmer, nimmer konnte glauben!
Mich, die achtzehnjähr'ge Jungfrau,
Voller Lebens für die Liebe,
Und ihm dieses Leben weihend,
Mich, o es ist mehr als grausam!
Höhnt er durch erkünstelt Staunen
Ueber meines Leibes Schönheit,
Durch erlog'ne Liebesworte,
Und stößt dann zurück mich, wählend,
O ihr Götter! mich zur Gattin!«
Alle Fragen des Erstaunens
Ueber ihr verändert Wesen,
Die an Lilialinda früher
Ich schon richten wollte, hatte
Durch abwehrende Gebärden
Sie erstickt mir. Eben wollt' ich
Nochmals heilig ihr betheuern,
Daß es ja nur heiße Liebe,
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Die ich fühlte, die mich triebe,
Sie, die Göttliche, zu heuern:
Da begann vor'm off'nen Fenster
Eine Menschenschaar, in welcher
Meine Gräfin ich bemerkte,
Plötzlich, wie wenn Hunde heulen,
Einen Trauersang zu singen!
Und in's Zimmer trat ein Mufti,
Drehte bis das Lied zu Ende,
Sich auf einem Bein im Kreise,
Aehnlich wie die Königlichen
Solotänzer unsrer Erde
Alle ihre Werke schließen;
Schnitt dann eine ganz abscheulich
Dumme Fratze, welche hierorts
Gilt als überweltlich, heilig;
Gab der schönen Lilialinda
Warm und herzlich sie umarmend,
Schmatzend drei Mal sieben Küsse;
Machte dann an mir ein Zeichen,
Welches für die sittlich-reine
Erdenwelt inexpressibel;
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Trank hierauf von Amtes wegen
Sieben Schnäpse Salamander;
Stellte mich und meine Braut dann
Mit dem Rücken aneinander,
Und rief salbungsvoll und laut dann
Also seinen Muftisegen:
»Heil Dir, Jüngling, daß zur Gattin,
Ihren Reizen widerstrebend:
Frommen Sinn's Du Dir erwählet
Diese farbenprächt'ge, duft'ge,
Aufgeblühte Himmelsblume,
Namens Lilia Lilialinda,
Und dadurch für jetzt und ewig
Jedes Anspruchs auf die Wonne
Ihrer Liebe Dich begeben!
Heil Dir, Jungfrau, der das seltne,
Neidenswerthe Loos geworden,
Daß, trotz ihrer Leibesschönheit,
Und bevor die Blüthe solcher
Abgeknicket und verdorret,
Einen Gatten sie gefunden,
Der, entsagend all den Reizen,
[76]
Ihr den frommen Rücken zukehrt!
Heil Dir, Jungfrau! Denn von nun an
Darf bei unsrer Tempelstraf' der
›Muftiheiligen Erleuchtung,‹
Des ›Verbrennens,‹ wie's profan heißt,
Uns, die Priester, ausgenommen,
Keiner der Verkehrten Welter,
Weder Greis, noch Mann, noch Jüngling,
Und am wenigsten Dein Gatte,
Sich Dir zärtlich nah'n, geschweige
Jenes staatlich zwar erlaubten
Aber immer frevelhaften,
Ungepriesterten, unfrommen
Laien-Liebesglücks genießen!
Und zum dritten Male: Heil Dir,
Daß die Würde Dir geworden,
Uns, den Muftis zu gehören,
Deren heil'ge Urgesetze
Ihnen nur die Lieb' gestattet
Mit der rechtmäßig getrauten
Frau Gemahlin eines Laien!
Komm' nun, holde Mufti-Nonne,
Mit mir in des Tempels Hallen,
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Wo bei Sang und Liebeswonne,
Hoch des Glaubens Korke knallen!
Und Du, Gatte, zieh' des Weges,
Kose mit den Mädchen allen,
Und geneuß des Privileges
Deiner Ehe nach Gefallen!«

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Glaßbrenner, Adolf. Gedichte. Die Verkehrte Welt. Dreizehntes Kapitel. Die Trennung. Die Trennung. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-D758-E