[95] Siebzehntes Kapitel

Begräbniß und Kirchhof

Ein Gelächter, ein Jauchzen! Es lockt mich hinaus,
Was seh' ich? Ein Leichenbegängniß!
»Er hat's überstanden,« so rufen sie aus,
»Das traurige Daseinsverhängniß!
Der Sklav, der den Kerker des Lebens verließ,
Geht ein nun in's ewige Lustparadies,
Juchhe! wo die Engel, die holden,
Uns von unten bis oben vergolden!
Wo die Häuser aus funkelndem Edelgestein;
Wo gebraten die Vögel 'rumfliegen;
Wo in Strömen von köstlichem, feurigem Wein
Weißzuckerne Schwäne sich wiegen;
Wo die seligen Sultane all von Konfekt,
Und das selige Volk sie beliebig beleckt;
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Wo die Mufti's uns waschen, und Nixen
Und Feeen die Stiefel uns wichsen!
Wo als adlige Ritter man wieder begrüßt
Unsere klügsten, plebegischsten Töffel;
Wo man Alles, die Luft selbst, die freie, genießt
Höchst vornehm mit silbernem Löffel!
Wo man Nektar verweigert, Ambrosia häuft,
Und Perlen, die köstlichsten, schwitzt, wenn man läuft;
Wo man Arien singt, wenn man prustet,
Und Volkshymnen reimt, wenn man hustet!
Wo die Dirne Moral uns den Becher kredenzt,
Kein Genuß von der Lust'gen bedroht ist;
Wo den ewigen Lenz man durchfaullenzt,
Und die Arbeit das einz'ge Verbot ist!
Wo zwei Magen man, also in einem stets hat
Appetit, wenn man just in dem anderen satt;
Wo der einzige Doctor der Schankwirth,
Und Keiner der Seligen krank wird!«
Das war's, was vom Jubelgeschrei ich verstand. –
Auf dem Kirchhof begruben die Leiche
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Viel Mufti's und machten dabei allerhand
Narrethei'n und possierliche Streiche.
Sie heulten und blafften, umtanzten das Grab,
Ueberhopsten's und warfen Kartoffeln hinab,
Und sammelten dann auf 'nem Teller
Sich Scudi's ein, Groschen und Heller.
Und zum Schlusse verlief die Beerdigungsschaar
Sich, den lachenden Erben noch bringend
Ein Hoch, ganz wie sie gekommen war,
Aufjauchzend, lärmend und singend.
Ich aber, ich ging durch den friedlichen Hain –
Beleuchtet von wunderbar magischem Schein –
Und las, was da meldeten Tafel und Stein
Von den Ruhenden allen, den Lieben,
Und hab', was davon mir geblieben
Im Ged-enkbuch, hier niedergeschrieben.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Glaßbrenner, Adolf. Gedichte. Die Verkehrte Welt. Siebzehntes Kapitel. Begräbniß und Kirchhof. Begräbniß und Kirchhof. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-D762-5