6. Der Hirsch, der sich im Wasser sieht

Ein Hirsch bewunderte sein prächtiges Geweih
Am Spiegel einer klaren Quelle.
Wie prächtig! auf derselben Stelle,
Wo Königskronen stehn! und wie so stolz, so frei!
Auch ist mein ganzer Leib vollkommen, nur allein
Die Beine nicht, die sollten stärker sein!
Und als er sie besieht, mit ernstlichem Gesicht,
Hört er im nahen Busch ein Jägerhorn erschallen,
Sieht eine Jagd von dem Gebirge fallen,
Erschrickt und flieht! Nun aber hilft ihm nicht
Das prächtige Geweih dem nahen Tod entfliehn,
Nicht sein vollkommner Leib, die Beine retten ihn!
Die reißen, wie ein Pfeil, die prächtige Gestalt
Mit sich durchs weite Feld, und fliegen in den Wald!
Hier aber halten ihn, im vogelschnellen Lauf,
An starken Zweigen oft die vierzehn Enden auf.
Er reißt sich los, er flucht darauf;
Lobt seine Beine nun, und lernet noch im Fliehn,
Das Nützliche dem Schönen vorzuziehn.

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TextGrid Repository (2012). Gleim, Johann Wilhelm Ludwig. Gedichte. Fabeln. Viertes Buch. 6. Der Hirsch, der sich im Wasser sieht. 6. Der Hirsch, der sich im Wasser sieht. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-D95D-3