Der Sternseher

an Herrn – – – –


Der Kenner aller Welten,
Der in dem Sterngewölbe
Kometen und Trabanten
Und neue Sonnen suchet,
Und ohne Scherz und Liebe
Durch alle Nächte wachet,
Bewog mich iüngst am Abend
Zu frieren und zu wachen.
Den holen Raum des Himmels
Erhell'ten tausend Sterne,
Wie tausend helle Lampen
Den weissen Saal erhellen. 1
Sie brannten in dem Blauen,
Und warfen kleine Stralen,
Wie Lichter Stralen werfen;
Und oft sah ich, verwundernd,
Wie sie sich selber putzten.
Sie brannten still und sicher,
[32]
Bis Lunens stolzer Schimmer
Den Abgrund heller machte;
Schnell waren von der Menge
Die kleinsten ausgelöschet.
Ich rief dem Mond entgegen:
So dulde doch, Tiranne,
Bey deinem grossen Schimmer
Die kleinen Himmelslichter!
Allein der Sternbeseher
Beseufzte meine Dummheit,
Und rief beim letzten Seufzer:
Du Dummer, steh doch stille!
Ich stand; er rief: Steh veste!
Und legt auf meine Schulter
Ein Rohr, als wollt er schiessen.
Ich bat ihn um mein Leben,
Allein ich muß ietzt lachen,
Es fehlt ihm Rohr und Pulver,
Denn die vermeinte Flinte,
Das Rohr auf meiner Schulter,
War nur ein langes Auge,
Womit er durch die Lüfte
Den Mond herunter holte.
Er holt' ihn auch herunter
Und sah ihn in der Nähe,
Und sprach: Ich will im Monde
Die Thäler voller Tannen,
Und alle Wälder zälen;
Ich will die Berge messen
Und alle Flüsse zälen.
Er zälte schon bis zwanzig;
Allein, indem er zälte,
Erhub er schnell die Stimme
Und rief, wie Wächter rufen:
Im Monde wohnen Mädchens!
Er, der noch nie gelächelt,
Fing plötzlich an zu lachen,
Und sahe nach dem Monde,
[33]
Und lachte plötzlich wieder,
Und sprach, noch halb im Lachen:
Ich sehe kleine Mädchens;
Sie tanzen unter Knaben,
Sie tanzen nach Figuren,
Nach Winkeln und Quadraten,
Nach Kegeln und Cilindern,
Nach Zirkeln und Ovalen,
Und spielen mit dem Zirkel,
Und stehn auf hohen Gipfeln,
Und sehn mit längern Augen,
Als Neuton und Kopernik.
Ich habe nie mit Mädchens
Getanzet und gespielet;
O! könnt ich doch im Monde
Mit diesen Mädchens spielen.
Ach lieber Sternbeseher!
So sprach ich, blöd' und furchtsam,
Ach laß mir doch die Mädchen
Mit meinem Auge sehen.
Gleich grif er an mein Auge,
Und sprach, wie Zaub'rer sprechen:
Dis Auge werde länger.
Indem er dieses sagte,
Ließ ein vergnügtes Mädchen,
Das mich und ihn beschau'te,
Das mich und ihn verlachte,
Die schwarzen Augen funkeln.
Schnell rief ich: Weg vom Auge!
Mein Auge soll nicht wachsen.
Besieh' du deine Mädchens.
Ich will mit diesen spielen.

Fußnoten

1 Auf dem Königlichen Schlosse in Berlin.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Gleim, Johann Wilhelm Ludwig. Gedichte. Versuch in Scherzhaften Liedern, erster Teil. Der Sternseher. Der Sternseher. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-DAB9-2