[107] An Horaz

Ueber seine Epistel an den Scäva; die 17. im 2. Buch.


O du, mein Freund, mein großer Lehrer,
Verzeih, daß ich, dein alter Hörer
Und dein Bewundrer, dennoch dir
Einmal zu widersprechen wage;
Allein, die Ruhe meiner Tage,
Nicht wahr, mein Lieber, gönnst du mir?
Und diese, nicht die Streitbegier,
Zwingt mich zu einer dreisten Frage.
Ich hörte dich zu Scäva sagen:
»Wenn du mit einem Haselhuhn'
Und Chier, dir willst gütlich thun,
So schleiche dich mit hohlem Magen
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Zu reicher Leute Tafel!« – Ha!
Wie riß ich beide Augen da
Weit auf; kaum traut' ich meinen Ohren;
Denn sprich: ist Scäva nicht dein Freund?
So aber hätt' ich fast geschworen,
Er sey dein allerärgster Feind!
Und doch könnt' ich mich kaum entschließen,
Selbst einem Feinde diesen Rath
Zu geben, wenn auch in der That
Die Rache nichts kann mehr versüßen,
Als seine Feinde zu den Füßen
Der stolzen Reichen kriechen sehn.
Könnt' Aristipp, sagt Diogen,
Mit Kohle sich, wie ich, begnügen,
So würd' ihm bald die Lust vergehn,
Vor Königen im Staub' zu liegen.
»Und wüßte Diogen dagegen
Mit Königen nur umzugehn,
Er würde keinen Kohl mehr mögen.«
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Wer hat von beiden Recht? Laß sehn!
Zwar, kurz besonnen, sprichst es du
Mit deinen honigsüßen Lippen,
Dem ersten ab, dem letzten zu.
So laß uns denn erst Aristippen
Um seine Gründe hören. »Ich,«
Spricht der, »ich bin ein Narr für mich,
Du für das Volk.« – Nein! halt ein wenig,
Mein lieber Freund, nicht bloß für dich,
Auch für den Hof und für den König.
Doch, seyd ihr Narren, alle beide,
So scheint es eher zu verzeihn,
Des Königs Narr, des Hofes Freude,
Als Narr und Spott des Volks zu seyn.
Denn jenen wird ein Reitpferd tragen,
Vielleicht in einem sanften Wagen
Wohl gar vier stolze Schimmel ziehn,
Und Leckerbissen sätt'gen ihn,
Und dieser muß für seinen Magen
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Um einen Kohlkopf sich bemühn;
Denn mag er noch so viel sich stellen,
Als wenn er keines Menschen Kind
Bedürfte; alles das ist Wind,
So lang auch Weiser Magen bellen.
Daß Aristipp in jede Rolle
Sich schicken kann, daß er ein Kleid
So gut von Purpur als von Wolle
Zu tragen weiß, erhebt ihn weit,
In meinen Augen, über jenen,
Der eher fadennackend läuft,
Als, statt der Lumpen, nach dem schönen
Ihm hingelegten Mantel greift.
Gib ihm die Lumpen hin, und laß
Den Narren nach Gefallen leben!
Sag' ich mit dir; doch ohne Haß,
Denn ich gesteh's, dem Mann' im Faß'
Werd' ich am ersten noch vergeben.
Zwar wirft ihm Aristippus vor,
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Sein Tadler sey der größte Thor,
Weil er nur Lumperein erbitte.
Doch wie? wenn er aus freier Wahl
Selbst auf das Obdach einer Hütte
Verzicht that? Steht nicht in der Mitte
Die Wahrheit dann auch dieses mal?
Denn sage: sollt' ein Diogen
Die Kunst, nach Art der Aristippen
Mit einem Fürsten umzugehn,
Wenn er nur will, nicht auch verstehn?
Ist's denn so schwer, sich um die Klippen
Des Hofs, mit List herum zu drehn?
Nicht wahr, du gibst mir zu, am Geist'
Konnt's wohl beim Cyniker nicht liegen?
Auch hatte niemals, wie du weißt,
Ihm eines Prinzen Mißvergnügen
Den Hof verleidet; ihm allein
Blieb ja die Wahl, gleich jenem Andern
Der Freund von Königen zu seyn,
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Ja selbst ein Freund von Alexandern.
Hielt er's für Niederträchtigkeit,
Den Aristippen gleich, zu heucheln,
Den Aristippen gleich, zu schmeicheln:
Sag', ist er deßhalb nicht gescheidt?
Er war ein Narr, die Welt zu fliehn,
Und sich lebendig zu begraben,
Doch immer lieber möcht' ich ihn,
Als Aristipp zum Freunde haben.
Er war ein Narr, dem Wohlstand' kühn
Zu trotzen, denn allein von Gecken
Wird das bewundert und verziehn.
Doch Aristippen, wie es scheint,
Vergibst auch du, mein weiser Freund,
Sein Schmeicheln und sein Speichellecken?
Und stellst ihn gar zum Muster vor?
Wenn ich für jenen nicht entscheide,
Ist dieser drum nicht auch ein Thor?
In einem Punkte sind sie's beide.
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Denn sollt' ein Freund, (wie Scäva dich,)
Für seinen Sohn um Rath mich fragen,
So würd' ich, (denn so dünkt mich's,) sagen:
Du siehst, wie beide Weise sich
Vom Mittelwege weit entfernen,
Und andrer Leute Narren sind;
Laß drum durchaus so viel dein Kind,
Um selbst sein Herr zu werden, lernen.
Nie ging die wahre Kunst nach Brod,
Wenn sie vorher dem Eigensinne,
Der Faulheit nicht die Hände bot.
Schmaust deßhalb Fliegen schon die Spinne,
Weil sie ein Netz zwar weben kann,
Allein nicht webt? Zerreißt das Eine?
Sie fängt ein andres wieder an!
Und so verhungerte noch keine.
Vielleicht, daß unser Diogen
Und Aristipp, nichts für Athen,
Ihr eigner Herr zu werden, lernten;
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Vielleicht, daß jenen, Eigensinn
In seine Tonn', und diesen, hin
Nach Hofe, Gaum und Faulheit körnten.
Doch trägt im Kopf' so viel dein Sohn
Mit sich herum, um alle Tage
Sein eigner Herr zu werden: sage,
Wird er nicht dann so gut am Thron'
Der Fürsten, ohne Speichellecken,
Stehn, wie in einer Schlacht der Held?
Als, wenn's dem Schicksal' so gefällt,
In eine Hütte sich verstecken?
Er wär' ein dreimal größrer Thor
Als jene beid', und zu verachten,
Zög' er der Müh', Gold aus den Schachten
Des Fleißes ziehn, die Narrheit vor,
Den Dionysen kriechend schmeicheln,
Wie Aristipp; wie Diogen
Aus seinem Narrenfaß' nach Eicheln
Mit Bären in den Wald zu gehn.
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Den Großen dieser Welt gefallen,
Ist freilich nicht das kleinste Lob;
Doch wird's zum kleinsten unter allen,
Wenn Ehr' uns nicht dahin erhob.
Nun sage selbst: war Dionys,
So, wie einst Plato ihn verließ,
Der Mann wohl, dessen Freundschaft Ehre
Für dich, mein Freund, gewesen wäre?
Und möchtest du sie um den Preis,
Wie Aristipp sie kaufte, kaufen?
Ich würde wenigstens, wer weiß,
Wie weit? vor seiner Freundschaft laufen.
Nicht jedermann kommt nach Corinth!
Doch angewandt auf Dionysen:
Hat der sich einen Mann bewiesen,
Der den Tyrannen zwar gewinnt;
Doch wie? weil er, darnach er weht,
Den Mantel nach dem Winde dreht?
Gesetzt, die Kunst sey noch so schwer:
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Ist sie auch edel? Nimmermehr!
Laß Aristippen also wagen,
So viel er will: wie mir es scheint,
Gebührt ihm drum nicht Ehre, Freund!
Belohnung aber seinem Magen.
Die Ehre, laß für die Platonen
Uns sparen, die die Weisheit frei
Selbst dann noch sagen, an den Thronen
Der Fürsten, wenn die Schmeichelei
Mit ihrem Dolch' im Finstern schleicht,
Den edlen Weisen aufzupassen,
Die, billigt das der Fürst, so leicht
Den Hof, als Plato einst, verlassen.
Bewundern kann ich zwar den Mann,
Der, dreifach Erz um seinen Busen,
Des Hofes Circen und Medusen,
Ja Dionysen trotzen kann:
Beneiden aber, Freund, nur den,
Der nicht darf streiten mit Chikane,
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Wie Plato nicht auf Laster schmähn,
Und nicht, gleich einer Wetterfahne,
Wie Aristippus, sich muß drehn;
Der bei dem Weisen kann ein Weiser,
Und, ist sein Rang auch noch so klein,
Sein Freund, wie du von deinem Kaiser,
Selbst darf an Gallatagen seyn.
Hat der sich einen Mann gezeigt,
Wer, Plato gleich, der Fürsten Gnade,
So wie die Gunst des Volkes, leicht
Entbehren kann, und von dem Pfade
Der Weisheit, keinen Schritt breit weicht?
Mir deucht, so ist's, mein lieber Lehrer!
Denn das erstreben, scheint mir schwerer,
Als Aristippus niedre Kunst,
Und seines Gegners blauer Dunst.
Was zwischen Schlangenglatter Sitte
Des Einen, und dem Charonsbart'
Des Andern, just steht in der Mitte:
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Das nur ist wahre Lebensart.
Was zwischen jenem, der nur weise
Für seinen Magen schien zu seyn,
Und diesem, der zu seiner Speise
Wohl Eicheln nähm', um sich allein
Zu leben, in der Mitte steht:
Das, lieber Freund, muß Tugend seyn.
Sonst ist ihr Nam' ein Schall, verweht
Von jedem Hauche der Sophisten.
Denn, Freund! mit Selbstgenügsamkeit,
Wie unser Cyniker, sich brüsten,
Verdient' auf wüster Insel Neid;
Doch will er unter Menschen leben,
So leb' er ihnen und auch sich:
Nur immer nehmen, niemals geben,
Wie Aristippus, mag, für mich,
Klug heißen, nur nicht edel. Sprich,
Mißfallen dir selbst die Entwürfe
Der närrischstolzen Selbstsucht nicht?
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Sie thut auf's Nehmen bloß Verzicht,
Damit sie nur nichts geben dürfe.
Ein Weiser nimmt nur das nicht an,
Was ihm das Laster beut; durch Bohnen
Wird ihn sein eigner Fleiß belohnen,
Und Ruh', des Fleißes Schwester, dann
Mit ihm in seiner Hütte wohnen;
Und das ist mehr, als ein Tyrann
Aus seinen Schätzen bieten kann.
Doch laß uns ohne Fleiß und Müh'
Falerner aus dem Becher schlürfen,
Und keines Menschen uns bedürfen:
Nun, so bedürfen unser sie!
Was dir zu viel die Ahnen gaben,
Um froh zu seyn, verschwende nie,
Das theile du mit allen, die,
Um froh zu seyn, zu wenig haben.
Des Menschen Schicksal ist entschieden,
Eh' selbst er weiß, was einst zum Frieden
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Für seine Seele dienen wird;
Denn ehe wir noch weise werden,
Sind unsere Füße hier auf Erden
In tausend Netzen schon verwirrt.
Zerreißen wird sie nur der Weise,
Wenn er in seinem Wirkungskreise
Für seinen Geist zu eng sich dünkt;
Zerreißen wird er seine Bande,
Sobald darin mit ihm die Schande,
Wenn gleich aus goldnen Bechern, trinkt.
Sonst bleibt er stehn auf seinem Posten,
Sich immer gleich; regt keinen Fuß
Darnach, den Wein von Syrakus,
Das Wasser bei Athen, zu kosten.
Ist er mit Ehre was er ist,
So sey er was er will. Das Wählen
Steht selten erst bei uns. So bist
Auch du, um nichts dir zu verhehlen,
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In meinem Aug' ein Biedermann,
Wenn deine Muse bei dem Kaiser
Auf Lob', um ihn zu bessern, sann.
Aus klugem Lob' wird leicht ein Weiser,
Aus Schmeichelei wird ein Tyrann.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goeckingk, Leopold Friedrich Günther von. Gedichte. Episteln. Zweiter Teil. An Horaz. An Horaz. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-DE7C-C