[152] An Nantchen, als er sich mit ihr versöhnt hatte, und im Begriff war, ihre Gegend zu verlassen

So willst du fern noch hold dem Herzen seyn,
Das ehemals dein ganzes Herz besessen?
Wie viel, wie viel, wird künftig dich zerstreun!
Und o! wie leicht ist da dein Freund vergessen!
Schwer mach' ich's dir, Geliebte! aber ach!
Sey stark aus dir! Der Lieb' ist Kunst zu schwach!
Sieh nur die Wand in deinem Zimmer an,
Wo ich im Geist' vor Kleist's Porträt entbrannte, 1
Wo ich mit Stolz dir manchen großen Mann
[153]
Als einen Freund von deinem Freunde nannte;
Wo ich die Welt in ihrem Ruhm' vergaß,
Ja selbst den Neid, weil ich dein Herz besaß!
Vergiß es nicht, wenn künftig dich zum Schach
Die Langeweil' anstatt der Liebe führet,
Wie du zerstreut mit einem leisen Ach!
Statt eines Steins, oft meine Hand berühret;
Wie dann, gestreift von deinem Kleide nur,
Ich weiß nicht wie? mein Herz zusammen fuhr!
So oft ein Glas Burgunder vor dir spielt,
Erinnre dich, welch Feuer aus dir sprühte,
Wenn deine Hand es schwankend kaum noch hielt,
Welch Morgenroth auf deinen Wangen glühte,
Wie schüchtern du, wie stammlend mich genannt,
Als du dich sonst damit zu mir gewandt.
So oft der May im Veilchenkranze lacht,
Erinnre dich an jene Bäch' und Büsche,
Wo du die Hand zum Becher oft gemacht,
Und deinen Schooß, für unser Mahl, zum Tische.
[154]
Wie oft fiel da der Wunsch dir weinend ein?
Ach! möchten wir nur arme Hirten seyn!
Wann wieder Schnee in Pflocken um dich schwärmt,
So denke noch, wie du mir oft im Schlitten
Die starre Hand an deiner Brust gewärmt,
Und sacht gefragt: ob meine Lippen litten?
Doch wie verbarg, wann ihn der Nord bestrich,
Mein Mund geschwind in deinem Nacken sich!
Erinnre dich bei deinem Nähepult',
Wie du für mich noch kleine Netze stricktest,
Mit großer Kunst, noch größerer Geduld,
Ein Blumenbeet in meine Weste sticktest,
Wie statt des Thau's, der Gartenblumen tränkt,
Ich diesen oft der Thränen Thau geschenkt.
Wann du hinfort mit deinem Hündchen spielst,
Erinnre dich, wie du mit seidnem Tuche
Den runden Mund ihm fest verstopfet hieltst,
Wenn aufgeweckt durch nächtliche Besuche,
[155]
Für dich und mich, Entsetzen und Gefahr
Im kleinsten Laut' von seiner Kehle war!
Verkündigt dir der Morgenstern den Tag,
Erinnre dich, wie sonst dein Aug' ihn sahe,
Als ich mit dir auf deinem Sopha lag,
Und zitternd sprach: O! sieh! der Tag ist nahe!
Denk' an den Kuß, den festumschlungen wir
Uns zugedrückt an deiner Gartenthür'!
Doch, alles das verlöscht einmal die Zeit!
Sie, welche selbst, denn wer kann sie gewinnen?
Dem Lebensstrom' so früh zu stehn gebeut,
Läßt schneller noch der Liebe Bach verrinnen!
So soll auch ich – – versöhntes Nantchen! nein!
Ich werde nie von dir vergessen seyn!

Fußnoten

1 In Nantchens Zimmer hingen die Bildnisse verschiedener Dichter und Gelehrten.

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TextGrid Repository (2012). Goeckingk, Leopold Friedrich Günther von. Gedichte. Lieder zweier Liebenden. Drittes Buch. An Nantchen [2]. An Nantchen [2]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-DE98-A