[182] Antwort des Herrn von Heß

Est Vlubris!

Horaz.


Seit vielen Jahren kannt' ich dich.
Nie hatt' ich dein Gesicht gesehen:
Nur deines Dichterruhms Trophäen
Ergötzten und belehrten mich.
Ich kannte dich, als hätt' ich lange
Des Lebens Ball mit dir gespielt;
Als hätt' ich oft die Jugendwange
Mit dir erhitzt, an dir gekühlt.
In manchem trefflichen Gesange
Gabst du dich einst geschildert hin.
Entsagen lehrtest du dem Range;
Die Musen waren dein Gewinn.
Das pflanzte sich in meinen Sinn.
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Entsagung ward auf meinem Gange
Durchs Leben die Begleiterin.
Es will gelernt seyn, das Entbehren,
Und nicht zu spät. Was im Gehirn'
Des Jünglings für Entwürfe gähren,
Die einst sein Glück als Mann verzehren,
Zeigt oft die früh gefurchte Stirn.
Es will geübt seyn, das Entbehren!
Den reinen Himmel mir gewähren,
Wozu die Unabhängigkeit
Mir ihren freien Pinsel leiht,
Das kann kein Staat mit seinen Ehren.
Was sind sie anders, als ein Streit
Der Wünsche mit der Wirklichkeit?
Der steifen Praxis mit Chimären?
Der Staat gibt dir sein Söldnerkleid.
Ward es für dich denn zugeschnitten?
Gehst du darin mit sichern Tritten?
Ist's nicht zu enge, nicht zu weit?
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Der Staat, (ja gäb' es beßre Staaten!)
Bezahlt dir deine Kraft und Zeit
Für anbefohlne Thätigkeit,
Wozu du selber nie gerathen.
Er winkt: du folgst. Er will: du mußt.
Und wär's mit eingeklemmter Brust,
Wär's mit zerrißnem, wunden Herzen:
Das Gold, worin man deine Pflicht
Gemünzt, ist taub zu deinen Schmerzen.
Du bist bezahlt; mehr giltst du nicht.
An Höfen ist das Recht nur Gnade:
Die Wahrheit hält die Maske vor;
Die Wissenschaft dient zur Parade;
Vergittert ist des Herrschers Ohr.
Der Unterthan liegt an den Stufen
Des Throns, und mag sich heiser rufen.
Der Schmeicheleien laut'res Chor,
Wie trunken von des Fürsten Preise,
Dringt über das Geächz empor.
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Nicht selten sang in dieser Weise
Uns weiland Göckingk's Muse vor.
Ihr reiner Nachhall tönte leise
Durch meinen Sinn, als ich ins Thor
Von Ellrich trat, wo sie noch schwärmet,
Und um den Vielgeliebten sich,
Wie Sappho einst um Phaon, härmet.
Ihr Klagen war mir schauerlich.
Der Unmuth biß mich auf die Zunge;
Ein frommes Mitleid spannte mich,
Und Groll zerdehnte meine Lunge.
Da, Göckingk, schalt mein Eifer dich!
Kein Aktenbündel, Mann! vertheidigt
Die Unthat, die du ausgeübt,
Als du die Maid, die dich geliebt,
Hast durch Desertion beleidigt.
Ein Mann weiß, was er kann und soll.
Sey's Juno, Plutus, sey's Apoll;
Wem er zu dienen sich verpflichtet,
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Dem dient er treu, und achtet nicht,
Was man von ihm im Durchflug' richtet.
Ob Geldgeitz, Rangsucht oder Pflicht
Die Ranzion auf dem Parnasse
Für dich bezahlen: Freilich, was
Bekümmert sich die große Masse
Des deutschen Volks darum? – Nicht das!
Doch Eins noch! – Ach! die Kraftgefühle!
Es brennt nicht immer, wo es blitzt.
Was uns, wie Feuer, in der Schwüle
Der Jugend, oft das Mark erhitzt,
Das dampft kaum in des Alters Kühle.
Wir mögen stehen, oder fliehn,
Wir mögen kriechen, oder schweben;
Will man in Ellrich nicht mehr kleben,
So wird man Auster in Berlin.

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TextGrid Repository (2012). Goeckingk, Leopold Friedrich Günther von. Gedichte. Episteln. Zweiter Teil. Antwort des Herrn von Heß. Antwort des Herrn von Heß. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-DEFC-A