[73] Als sie Amarants Nachtbesuch erwartete

So ist denn endlich alles still?
Dann ist es Zeit, das Schütt der Thränen aufzuziehen;
Und du, mein Herz! das immer lärmen will,
So lärme nun, daß deine Seufzer fliehen!
Denn alles ruhet. – Anne zieht
Den Odem schnarchend schon herauf aus tiefer Lunge;
Spadille, der allein mich weinen sieht,
Hat, zum Verrath' von Nanten, keine Zunge.
Auch meine gute Mutter, kann
Dieß Pochen meiner Brust nicht aus dem Schlummer wecken;
Doch wüßte sie – ach! Mädchen! ach! wie dann?
Sie tödtete der Gram, und dich, der Schrecken!
[74]
Und doch, mein Herz! erlaubst du mir
Den wunderbaren Mann zu sehen und zu küssen?
Ha! welch ein Kuß? Den können trotzig wir
Der Welt gestehn, kann selbst der Himmel wissen.
Schlaf, theure Mutter, schlafe nur,
Und träume nicht einmal, daß Nante sich verloren;
Denn Amarant, der oft mir Liebe schwur,
Hat öftrer noch auf meine Ruh' geschworen.
Herz! das für den nur Liebe fühlt,
Den Mensch und Engel liebt, wer kann dich schuldig sprechen?
Und liebt' ich ihn, wenn ich ihn fähig hielt',
Er könne dich und seine Schwüre brechen?
Ein unbegrenzt Vertrauen legt
Den Arm auf seinen Arm, die Hand in seine Hände. –
Doch stille! horch! Die Klosterglocke schlägt! –
Drei Viertel? ach! – Zeit! nimmst du nie ein Ende?
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Ha! wie mein Odem zitternd schnaubt!
Vom Wirbel bis zum Zeh' brenn' ich in Feuerflammen!
Hu! Fieberfrost! wie schüttelst du mein Haupt!
Ihr Kniee! fallt ihr unter mir zusammen?
Auf keiner Stelle hab' ich Rast!
O! daß er doch nur nicht so überlange bliebe!
Und dennoch ist dieß Zittern, glaub' ich fast,
Nicht eben Furcht; was sollt' es seyn als Liebe?
Wie dreht sie mich im Kreis herum,
Daß alle meine Kräft' und Sinne mich verlassen!
Komm, Amarant! ich stürze schwindlich um!
Komm! laß mich nur an deiner Brust erblassen!
Doch kann er treu dem Schwure seyn,
Wenn ich mich so berauscht ihm vor die Augen stelle?
Drum krieche nur du kleiner Dacht hinein,
Mein Lämpchen brennt fürwahr sonst gar zu helle.
[76]
Würd' er mich nicht erröthen sehn,
Und merken, wie, verwirrt, ich mit der Zunge stocke?
Doch Närrin! laß dir's wie es will ergehn,
Denn hörst du wohl? da lautet schon die Glocke!

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TextGrid Repository (2012). Goeckingk, Leopold Friedrich Günther von. Gedichte. Lieder zweier Liebenden. Zweites Buch. Als sie Amarants Nachtbesuch erwartete. Als sie Amarants Nachtbesuch erwartete. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-DF22-C