[122] An den Herrn P.W.

Auf der Akademie zu –.


Auch du, mein Freund, klagst unsre Großen an,
Daß sie so kalt für Deutschlands Künste bleiben?
Nun, immerhin! denn was liegt mir daran?
Ich werde nie für unsre Großen schreiben.
Doch, daß für uns ihr Kaltsinn Unglück sey,
Davon wirst du mich schwerlich überzeugen.
Hier mach' ich wider dich Parthei,
Ich müßte sonst an meiner Zweifelei
Mit Hiob bersten, sollt' ich schweigen.
Du träumtest da gar einen schönen Traum!
Entschließen konnt' ich erst mich kaum,
Die rosenfarbnen Bilder zu zerstreuen;
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Doch, bist du wach, und du befindest dich
Nur halb so wohl dabei, als ich,
So wirst du sicher mir verzeihen.
Laß alles das die Großen wirklich thun,
Was sie in deinem Traume thaten;
Dann hat ein jeder Weiser zwar ein Huhn
In seinem Topf', der itzt zu kochen und zu braten
Oft kaum ein Ey im Hause hat:
Doch ach! nun schrein in allen Staaten
Auch alle Schmierer: Macht uns satt!
Des Schreibens ist schon itzt kein Ende,
Und doch: wie wenig wächst den Lesern der Verstand!
Das macht, es schreiben, Freund! schon itzt drei tausend Hände
Zu viel, für unser Vaterland.
Erstaune nicht, und frag' mich nicht warum?
Fällt der Geschmack von unserm Publikum
Mitunter nicht auf Spinnen, Kröten, Aeser?
Wie fände sonst, es sey auch noch so dumm,
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Ein jedes Werklein seine Leser?
Trotz allen Schreibern aller Erden,
Wird doch das Publikum nicht klug,
Bis alle Buchhändler zu edlen Weisen werden:
Nicht wahr, nun hast du schon genug?
Wir lesen alle mit einander,
Allein das wie? und was? bekümmert etwa drei
Von Tausenden. Was wagt nun Mops dabei,
Druckt er die Reime von Talander?
Verlieren kann er nichts, weil jeder Thor
Gewiß dreihundert Käufer findet,
Gewinnen aber leicht, da itzt noch, wie zuvor,
Aus allen Laden schnell die Felsenburg verschwindet.
Mag die Kritik sich heiser schrein,
Sie wird die Zahl der Schmierer nicht vermindern.
Das Publikum will unterhalten seyn,
Und dieß besteht fast bloß aus alten Kindern.
Ist's nun so leicht, durch Nürenberger Tand
Den Kindern ihre Zeit vertreiben,
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Wie leicht läßt dann nicht der Verstand
Durch Klang der Louisdor in des Verlegers Hand,
Ja selbst die Furcht vor Schande, sich betäuben.
Aus neun und neunzigen das hundertste zu schreiben:
Das ist die wahre Büchermacher-Kunst!
Wo würden sonst von Hundert wohl – mit Gunst!
Ihr Büchermacher! – neun und neunzig bleiben?
Freund! wenn du kannst, so schließe du
Noch heute, allen Klugen, allen Dummen,
Die Büchersäl' auf deiner Alma zu;
Wie werden dann in einem Nu
Ein Schock Autoren schier verstummen;
Indessen, wie einst Salomo,
Ein W** sich, durch sich, noch Weisheit wird erwerben.
Studirte jener itzt noch so,
Für Lohn, so müßte Salomo
Nun freilich wohl für Hunger sterben.
Doch auch nur leben sollte man,
Um zu studiren; nicht studiren,
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Um nur zu leben. Denn was kann
Der arme Wicht für Zeit verlieren,
Der mit dem Abend' kaum sein Tagelohn gewann?
Gerade deßhalb, sagst du zwar,
Müßt' ihm der Fürst ein Jahrgeld geben;
Doch, lieber Freund, wenn erst, wie offenbar,
Vier tausend Schmierer mehr nach einem Jahrgeld' streben:
Was wird am End' aus unserm Publikum?
Recht viel ist zwar daran nicht zu verderben,
Doch lies't sich itzt ein Theil davon nur dumm,
Dann würde gar ein Theil vom Lesen sterben.
Wer Anlag' hat zu einem weisen Mann',
Wird leicht es ganz durch die Sokraten dann,
Und fühlt er Hang zu einem Thoren,
So zerren die Sophisten dran,
Bis er den Wunsch nach Weisheit selbst verloren.
Wie wenig neigen, wenn der Bart
Beim Jüngling' keimt, sich auf der Weisen Seite;
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Die übrigen, (wie ihr genug erfahrt,)
Sind ganz gewiß der Schmierer Beute.
Wenn alle nur, die so sich stumpf
Am Geist' und Herzen lasen, einen Strumpf
Indeß gestrickt, ein Paar Manschetten
Genähet, oder den Verstand
Von einer Fabel nur erklärt dem Sohne hätten:
Welch ein Gewinn fürs Vaterland!
Und hätten die vier tausend Schmierer nur
Vom Acker Steine aufgelesen,
Indeß ein böser Geist in ihre Finger fuhr,
So wär's doch etwas noch gewesen!
Nimm alle die vier tausend leere Köpfe,
Ein Jahrgeld macht nicht einen guten draus;
Denn Ewigkeit bekümmert die Geschöpfe
Nicht halb so sehr, als ein Verleger-Schmaus.
Der aber, Freund, in dem ein Funken glühet,
Löscht ihn, sey er auch arm, durch keine Thränen aus.
Er brennt, eh' sich's die karge Welt versiehet,
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Einst lichterloh aus ihm heraus.
Wer eine Ilias vielleicht gesungen hätte,
Singt freilich kaum noch dann und wann ein Lied,
Wenn er an eine Sklavenkette
Sich Tag und Nacht gefesselt sieht.
Dann aber nehm' ein Bürger unsers Reiches
Die Kett' ihm ab, und sey sein Freund durch That,
Und thu' zuerst im deutschen Reich' ein gleiches,
Als oft Brittanien schon that.
Kein Großer löse sie; denn die Trompeten
Der Fama, sagen sonst ein wahres Unglück an.
Zur Klippe wird ein Jahrgehalt, woran
Das Glück von hundert ampelnden Poeten
Zerscheitert.
»Nun, so laß sie scheitern, Freund!
Soll wohl ein Staat, so nützlich ihm es scheint,
Schon darum keinen Preis aus seinen Schätzen
Auf eine neue Durchfahrt setzen,
Weil manches Schiff darüber sinken kann?
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Von allen menschlichen Gesetzen
Steht ja das Wohl des Staates obenan!«
Du nimmst das Wort mir aus dem Munde;
Denn grade dieß hielt ich zur Antwort schon
Für dich bereit. Ich weiß es, denn die Kunde
Der Vorzeit lehrt es: daß für Thron
Und Hütte, Welt und Nachwelt, keiner,
Der auf dem Thron' nicht sitzt, so segnend werden kann,
Als der erhabnen Weisen Einer,
Der sich das Herz des Volks gewann.
Wenn für Germanien, in jedem Fach'
Die Leibnitze bloß dächten, aus den Händen
Der Fürsten und der Bürger, nach und nach
Der Dunse Schmiererein verschwänden:
Dann würde, Freund, das Glück des Publikum,
(Itzt kaum ein Baum mit Blättervollen Zweigen)
Mehr Frücht' in einem Jahre zeigen,
Als itzt in einem Sekulum.
Was itzt ein Denker baut, das reißt ein Schmierer ein;
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Das letzte Wort wird auch dem Narrn das wahrste seyn,
Und dieses mag der Schmierer leicht behalten.
Das wahre Publikum, das Publikum der Alten,
Der unsichtbaren Kirche gleich,
Hat keine Macht; zerstreut durchs ganze Reich,
Triffst du vielleicht auf ganze Meilen
Kein Mitglied dieses Häufchens an,
Dein volles Herz mit ihm zu theilen.
Doch immer besser, Freund! als daß die Kircheneulen
Ein Ludewig zu Adlern stempeln kann;
Als daß ein Chapelain für Dummheit Schätze häufe,
Indeß es Klügern oft durchs Dach ins Stübchen schneit;
Als daß ein Richelieu voll Neid
Nach der Corneillen Lorbeer greife;
Ein Mazarin die Niederträchtigkeit
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Der Benseraden 1, gut bezahle,
Ein Boileau mit Römersinne prahle,
Indeß er selbst, für Gold, der Eitelkeit
Mit vollen Händen Weihrauch streut.
In Frankreich suchte sonst der Schmeichler und der Duns
Nur Goldsand in der Hippokrene;
Wir hatten nie Auguste und Mäcene,
Das was wir sind, sind wir allein durch uns.
Ein wahres Glück! denn es ist mit der Kunst
Wie mit der Tugend; wer nicht beide
Um ihrer willen liebt, nur liebt um Fürstengunst,
Der fühlt ihr Aeußres nur, nicht ihre innre Freude.
Ein wahres Glück! Weil das, was tief vergraben
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Im Schutte der Barbaren lag,
Der Menschheit ältesten Vertrag,
Wir dadurch bloß, hervorgezogen haben.
Wo, wie in Gallien, Verdienst nur Einen Richter,
Und diesen oft zum Feind' die Wahrheit hat,
Da schleppt man selbst den Lieblingsdichter
Um ein, gelesnes nur, nicht selbst geschriebnes Blatt
In die Bastille 2; da verstummen
Vor dem durch Titel, Orden oder Summen
Gedungnen Schreiber, Stadt und Land;
Da wag' es, Freund, und trag die Fahne
Der Wahrheit, wenn du sie verbrannt
Willst sehn, und gib, wie die Thuane,
Selbst deinen Kopf in Henkers Hand.
Nicht so bei uns! Denn wer in Franken
Nicht schwärmen darf, der mag's in Preußen thun.
Die Meinungen und die Gedanken
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Läßt Friedrich gern auf ihrem Werth' beruhn;
Denn, wie sein Beispiel selbst beweist,
Des Denkers und des Forschers Geist
Kennt, gleich der Ewigkeit, nicht Stillstand und nicht Schranken.
Auf ferner denn zum allgemeinen Krieg'
Um Wahrheit! nicht um Gold, um Titel und um Bänder!
Wir haben keine Jahrgeldspender,
Doch unser war am öftersten der Sieg!

Fußnoten

1 Der Kardinal hatte sich in einem ziemlich gleichgültigen Umstande mit Benserade verglichen. Der letztere erfuhr es, stürmte dem Kardinal in der Nacht das Haus, und fiel vor ihm, der schon im Bette lag,auf die Knie, um für die Gnade zu danken, daß er sich mit ihm habe vergleichen wollen. Sechs Tage darauf erhielt B. ein Jahrgeld von zwei tausend Franken.

2 Es ist bekannt, daß Voltaire dieß erfuhr.

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TextGrid Repository (2012). Goeckingk, Leopold Friedrich Günther von. Gedichte. Episteln. Zweiter Teil. An den Herrn P.W.. An den Herrn P.W.. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-DF2B-9