[207] An Fräulein von der Lühe

1802.


Liebe, die an Schönheit sich entzündet,
Gleicht Konfect, der im Genusse schwindet,
Und zu bald nur Ueberdruß erweckt;
Freundschaft, die auf innerm Werth' sich gründet
Und zwei Herzen voll Gefühl verbindet,
Ist gesundes Brod, das täglich schmeckt.
Jene Lieb' ist ein geschmückter Nachen,
Eine Lustfahrt auf der Spree zu machen,
Wenn im Lenz' sich kaum ein Lüftchen regt;
Jene Freundschaft ist ein Schiff mit Masten,
Hält die offne See, und träget Lasten,
Wird in Donnerwettern zwar bewegt,
Doch nicht sinken, und im Kampf' nicht fliehen,
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Sondern muthig Feuer um sich sprühen,
Bis herab der Tod die Flagge schlägt.
Wage du mit meinem Schiff' die Reise,
Denn es machten seinen Steuermann
Jahre, Schicksal und Erfahrung weise,
Daß er sicherer dich führen kann
Auf dem Meer' voll Klippen und voll Bänke,
Wenn auch selbst kein Stern am Himmel glimmt.
Daß ich gern für dich das Steuer lenke,
Bis der Tod mir aus der Hand es nimmt,
Und nach so viel Stürmen und Gefahren
Dämmern wird Kozytus finstrer Strand:
Dieses weißt du. Dort, nach wenig Jahren,
Tret' ich sicherlich zuerst ans Land; 1
Lerne selbst denn früh das Meer befahren,
Dieses Meer voll Raub und Unbestand.

Fußnoten

1 Die Vorsehung hatte es anders beschlossen. Dieses vortreffliche Frauenzimmer starb in der Blüthe ihrer Jahre, allgemein bedauert.

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TextGrid Repository (2012). Goeckingk, Leopold Friedrich Günther von. Gedichte. Episteln. Zweiter Teil. An Fräulein von der Lühe. An Fräulein von der Lühe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-DF5D-A