[240] Göckingk an Stamford

Den 6. August 1778.


Was soll ich sagen?
O Freund! O Freund!
Seit dreien Tagen
Hab' ich geweint.
Die Augen gehn
Mir itzt noch über,
Denn dich, mein Lieber,
Nicht wiedersehn:
O! der Gedanke
Macht meinen Wein
Zum Schierlingstranke,
Mischt Wermuth ein
In meine Speise,
[241]
Macht meinen Schlaf
Verwirrt und leise,
Und mich zum Greise.
Denn ach! dich traf,
In meinem Traume,
Schon ein Kroat,
Der hinterm Baume
Hervor nun trat,
Dich, der voll Blut
Vom Hügel rollte,
Ausplündern wollte,
Und deinen Hut
Schon nahm, als Wuth
Mir Adlersflügel
Zur Rache gab.
Ich sprang den Hügel
Im Hui! herab,
Riß aus der Scheide
Den Degen dir;
[242]
Ins Eingeweide
Stieß ich mit Gier
Ihn dem Kroaten,
Daß selbst ihm aus
Dem Kopf' heraus
Die Augen traten.
Drauf legt' ich mir
Dich auf den Schooß,
Und machte dir
Den Busen bloß,
Stopft' in die Wunde
Mein Tuch hinein,
Bließ mit dem Munde
Dir Odem ein,
Und rief unzählig
Bei Namen dich.
Da regt' allmählig
Dein Auge sich;
Mit Danken blicktest
[243]
Noch einmal du
Mich an, und nicktest
Leb' wohl! mir zu.
Ich aber sprang
Nun auf, und ging
Umher, und rang
Die Händ' und fing
So laut, um deinen
Verlust, zu weinen
Im Schlafen an,
Daß Nantchen dann,
So fest sie schlief,
Mich hört' und rief:
Was fehlt dir, Mann?
»Ach! Stamford liegt, –
Sieh hier! – erschossen!«
Im Traum' doch? Possen!
Der Traum betrügt!
Ermuntre dich,
[244]
Und sey vergnügt!
Denn der hier liegt,
Mann! das bin ich! –
»O! Gott sey Dank!
So lebt er? – doch,
Ist er wohl noch
Gesund? Nicht krank?«
Wie können doch
Dir Träume, Kind,
Den Schlummer rauben,
Die, kannst mir glauben,
Nur Täuscher sind 1.
[245]
Um einen Traum
Sich so betrüben!
Er hat ja kaum
An dich geschrieben?
Wer wird gleich schier
Das schlimmste wähnen?
Komm'! laß die Thränen
Abtrocknen dir! –
Nun Herz! schlaf' ein!
Und Stamfords Wächter
Wirst du, Gerechter
Im Himmel, seyn! –
»Das wird er seyn!
Wohlan, ihr Zähren,
So haltet ein.
Wann Gott gewähren
Den Wunsch mir wird,
Daß nicht die Klinge
Des Kriegs mehr schwirrt,
[246]
Und ich den Freund
Wie sonst umschlinge:
Dann weinet beide
Ihr Augen, weint
Gott Dank, ihm Freude!«

Fußnoten

1 Diese Stelle ist aus einem Gedichte des Herrn vonStamford, Vergißmeinnicht, das damals schon in meinen Händen war, und nachher in dem Hamburger Musen-Almanach, S. 179. abgedruckt wurde. Dort heißt die Stelle eigentlich so:

Wie kann ein Traum dir Ruh' und Schlummer rauben,

Du gutes Kind,

Da Träume doch, – lieb Aennchen, kannst mir glauben! –

Nur Täuscher sind!

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goeckingk, Leopold Friedrich Günther von. Gedichte. Episteln. Erster Teil. Göckingk an Stamford. Göckingk an Stamford. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-DFDC-A