[35] Fünfter Abschnitt

Vorüber war nunmehr die große Stunde,
Für die der Rath des Landes Wohl betreibt,
Ailhaud 1 geschickt durch seine Kunst, Gesunde
Zu Kranken macht, Babill Journale schreibt,
Der Obrist Hundsrück, zitternd vor dem Schlunde
Der donnernden Kanonen stehen bleibt,
Und – kurz, ein jeder hatte seinen Bauch,
Von zwölf bis eins, gefüllt, und Zahren auch
St! stille! still! ich höre Schellenklang!
He! aufgeschaut! da kommt er angefahren!
O, billig ist, du Roß, so stolz dein Gang!
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Denn ziehst du nicht den wackern Herrn von Zahren?
Wer ist, der so wie er die Peitsche schwang?
Wer räuchert so die Stadt mit seinen Haaren?
Wer ruft, wie er, volltönend sein Hop! hop!
Seht! selbst die Hund' entsetzen sich darob.
Nun glaubt ihr wohl, bei der Gelegenheit
Würd' ich die Schlitten, Stück für Stück beschreiben?
Nein, wahrlich nicht! Schaut, wie der Krittler dräut,
Mich zu dem Vieh' Horazens hinzutreiben!
Und sollte mein Gemälde gleich so weit,
Von Thümmels 2 Schilderei verschieden bleiben,
Als eine Ros' und eine Hyazinth:
Was schiert ihn das, wenn beides Blumen sind?
Burr! rief er nur, da stand das Roß, da that
Die Thür sich auf, da knarrte Nettchens Treppe
Von ihrem Fuß', da rappelte der Rath
Vom Mittagsschlaf' sich auf aus seinem Bette,
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Und kratzt' am Ohr', als wenn beim Amtsetat
Ein Minus sich statt Plus geäußert hätte,
Und Velten sucht', als jagte sie ein Brand,
Des Fräuleins Pelz, und hielt ihn in der Hand.
»Erkälte dich nur nicht, mein liebes Kind,
Und trinke nicht, wenn« – doch, das kann ich sparen.
Ihr Herren wißt ja wohl wie Väter sind,
Wenn ihre Töchter weg zum Balle fahren;
Sie reden da viel Gutes in den Wind.
Doch wär's genug, sie meinem Herrn von Zahren
Anzuvertrauen; denn in seinem Arm'
Und seinem Pelz' fährt sich's so gut und warm.
Von Mädchen ist's – wie meine Base sagt,
Die mit an Beaumont's Magazin geschrieben –
Auf diese Art zu fahren, viel gewagt;
Denn es ist leicht, dabei sich zu verlieben.
Ihr Herren aber, denen nichts behagt,
Was nicht ein autor classicus geschrieben:
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Persuasit amor, vinum, nox – so les't
Ihr im Terentius – humanum est.
Schwatzt was ihr wollt! Mein Nettchen saß im Schlitten,
Blinzt' um sich her, wie alles Augen macht',
Als sie dahin, schnell wie auf Schrittschuhn, glitten.
Der Alte rief noch in der Thür': Sacht! sacht!
Da aber half kein Rufen und ein Bitten,
Denn an den Alten ward nicht mehr gedacht;
Das klügre Pferd hemmt' aber seinen Lauf
Gar bald von selbst; ein Wagen hielt es auf.
Der Fuhrmann hielt gerade vor dem Hause
Des Sekretärs, und sein Bedienter Klas
Versichert uns, daß, während dieser Pause,
Das Fräulein an der Haut der Lippen fraß,
In ihrem Schlitten, wie zur Zeit der Mause
Ein Vogel im Gebauer, traurig saß;
»Denn,« sagt er, »sie sah Zahren gar nicht gern,
Und sucht' am Fenster sehnlich meinen Herrn.«
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Doch, dieser war bereits bei einem Freund'
Am Markt', um hier den Zug mit anzusehen.
Itzt wußt' Antonia sich, wie es scheint,
Nach Zahren, ha! so freundlich umzudrehen,
Daß Adlerkant, der sonst so leicht nicht weint,
Mit Thränen weg vom Fenster mußte gehen;
Selbst seines Vaters Grabgeläut durchdrang
Nicht tiefer ihn, als dieser Schellen Klang.
»Je!« sprach sein Freund, »was fehlt dir? wie die Wand
Wird dein Gesicht! wie ist dir? doch nicht schlimmer?« –
»Ach! Liljenthal!« erwiedert' Adlerkant,
»Ach! sahst du nicht, wie sie mit Zahren, immer
Bald was zu sprechen, bald zu lachen, fand?« –
»Ho ho! sonst nichts? du kennst die Frauenzimmer,
Das merk' ich wohl, von Einer Seite nur;
Und kommst du nun erst auf die rechte Spur?
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Hab' ich dir nicht schon tausendmal gesagt:
Laß doch den Adel! denn, von Vorurtheilen,
Eh' die Vernunft in düstern Köpfen tagt,
Den, dessen Werth von ihnen abhängt, heilen:
Das heißt so was wie Don Quichott gewagt,
Und wer Windmühlen stürmt, empfänget Beulen!
Nun siehst du selbst, wie bald die falsche Scham
Aus Nettchens Kopf und Brust dein Bildniß nahm.« –
»Ach! alles wahr! und alles gäb' ich drum,
Wenn Brunnenhain nur nicht von Adel wäre!
Doch, da er's ist, so sey es auch darum!
Und Nettchen wandte sich, bei meiner Ehre!
Aus Welt, aus Höflichkeit nach ihm nur um;
Denn, lieber, bester Liljenthal, ich schwöre
Dir zu, sie liebt so sehr, so herzlich mich,
Und mich allein, als ich vielleicht kaum dich!« –
»Gut, Adlerkant! sie mag von Adel seyn!
Ist sie erst deine Frau, und aus dem Kreise
Des Adels weg, so machen Schmeichelein
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Mit Ernst gemischt, sie endlich noch wohl weise;
Doch fällt mir – sieh nicht sauer – manches ein,
Warum ich Nettchens Liebe noch nicht preise.
Ich sehe wohl, das Ding verdrießt dich baß;
Das macht dein Ideal; doch weißt du was?
Die Mädchen besser glauben, als sie sind,
Macht nicht dem Kopfe, nur dem Herzen, Ehre.
Wächst denn beim Mann' die Tugend so geschwind
Ohn' alle Pfleg' und Wartung? Pa! Schimäre!
Wie denn bei Mädchen, welche, bloß dem Wind'
Und Wetter überlassen, nur die Scheere
Der Mod' und der Verstellung, für die Welt
In gleicher Piramidenform erhält?
Was ist ihr Herz? ein Sieb für Kleinigkeiten!
Was schätzen sie? Verstand vielleicht, und Witz,
Und Sitten ohne Tadel? Albernheiten!
Das sinnliche Vergnügen ist der Blitz,
Der sie entzündet. Glaub' mir, hundert streiten
Mit Ränken sich um eines Narrn Besitz,
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Indessen selten nur ein edler Mann
Von stillem Werth' sich geltend machen kann.
Sey lang von Wuchs, beblecht, und voll von Wade:
Das gibt Verdienst!« – – Hier hielt er plötzlich ein.
Ein Mysogyn wird sagen: das ist Schade!
Doch sollt' er nur an meiner Stelle seyn;
Man reimt, und reimt, und doch will die Tirade
Kein Ende nehmen. Komm denn nur herein,
Du guter Klas! willkommen ist dein Brief,
So deinem Herrn, der weint', als mir, der schlief.
»Ha Liljenthal, sieh! ich bin Steuerrath
Mit tausend Thalern! lies hier selbst das Schreiben
Von dem Minister! Soll ich nun zur That
Das, was mein Herz beschloß, gleich morgen treiben?
Ich hoffe ja, der alte Kriegesrath
Wird wider mich so sehr sich wohl nicht sträuben;
Und Nettchen – o, die Musen schmückten nie
Ein Mädchen schon so herrlich aus, als sie!« –
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»Nun! meinethalb! Wem nicht zu rathen steht,
Dem steht auch nicht zu helfen. Zwar ich hätte
Noch einen Vorschlag.« – »Gut! laß hören! geht
Er irgend an, so –« – »ja! was gilt die Wette?
Komm mit mir gleich nach Heideplan. Versteht
Die Wirthin Spaß, so ist im Kabinette,
Dem Saal' wo Nettchen tanzet neben an,
Gelegenheit, daß man sie sehen kann.« – –
»So warte doch! Ist das nicht eine Wuth?
Erst mußt du noch dir eine Wildschur borgen,
Wie Zahren hat, hier ist mein Federhut 3;
Fürs übrige, da laß du mich nur sorgen.
Genug, ich bin dir heilig dafür gut:
Entweder soll dein liebes Mädchen morgen
Schon deine Braut – nicht wahr, das gehst du ein? –
Wo nicht, gleichgültig dir wie jede seyn!« –
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Mit Riesenschritten ging der Sekretär
Nach Hause, zu dem Abenteuer, eilig
Sich anzukleiden, als von ungefähr
Der Kriegsrath ihm begegnet. Sehr erfreulich
War's unserm Alten, daß mit einmal der,
Den er dem Fräulein Tochter nur noch neulich
Zum Manne vorgeschlagen hatte, schon
In Wurf ihm kam zu seiner Gratulation.
Und Adlerkant fing schon zu stottern an:
»Wenn nun mein Glück nur gleich vollkommen wäre –«
Als er sich noch zu rechter Zeit besann,
Da Liljenthal zum Handel mit gehöre.
»Doch,« fuhr er fort, »Herr Kriegesrath, ich kann
Itzt nicht verziehn; ich hab' indeß die Ehre
Noch morgen früh« – »Recht gerne, in der That,
Herr Steuerrath! recht gern, Herr Steuerrath!«

Fußnoten

1 Ein durch sein Universalpulver bekannt gewordener Arzt.

2 Der auch eine Schlittenfahrt in der Wilhelmine beschreibt.

3 Liljenthal war selbst von Adel.


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TextGrid Repository (2012). Goeckingk, Leopold Friedrich Günther von. Fünfter Abschnitt. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-E052-B