[134] An Joseph Freih. von Retzer, in Wien

Wülferode 1, den 22. October 1780.


Schon läßt die Sonne länger auf sich warten,
Hat mich der Hahn mit seinem Krähn geweckt;
Schon hat der Reif die Wiesen weiß bedeckt,
Und ach! den letzten Schmuck im Garten,
Die Kürbisse, die noch auf Wärme harrten,
Verschrumpft zur Erde hingestreckt.
Schon ziehen dunkelgrau am Felsen
Die Regenwolken hin; die rasche Zorga schwillt;
Am Ufer klappert schon das Haupt der nackten Elsen:
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Ach! alles war so sanft, und alles wird so wild! –
So pack' denn ein, lieb Frauchen; laß noch heute
Zurück uns kehren nach der Stadt.
Du seufzest? Aber wie? wenn uns ein Wasserbad
Umringt', und hier der hohle Weg verschneite:
Wie machst du dann ein Haus voll Menschen satt?
Indeß das Corpus juris und zwei Wiegen,
Ein Globus und ein Kucheneisen sich,
Wie auf der Post ein Tory und ein Whig,
Auf einem Wagen, brüderlich,
Zum Umziehn in einander schmiegen,
Reis' ich auf diesem Blatt' Papier,
(Es kostet gar zu viel, im Wagen!)
Nach Wien, um für den Brief – vom Frühjahr' leider! – dir
Im Herbst' erröthend Dank zu sagen.
Denn seit dem Mai hatt' ich das Sitzen,
So wie das Schreiben, ganz verlernt;
Dein Lob, das von der Berge Spitzen
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Mich sonst herab zum Schreibepult' gekörnt,
War, einen Reim aus mir heraus zu pressen,
Itzt selbst zu schwach. Ein Landhaus, Freund, ward mein!
Und kaum trat ich mit Weib und Kind hinein,
So war die Welt rund um mich her vergessen;
Und wer wird das der Liebe nicht verzeihn?
Ich aber liebe nicht viel minder
Dieß Haus, als meine Doris, Freund!
Es ward mein Arzt; denn hier ward ich gesünder;
Es ward der Lehrer meiner Kinder,
Die hier erst sahn, wie früh die Sonne scheint.
Kann Niemand der Versuchung widerstehen,
Das Mädchen, das sein Herz ihm stahl,
Von ihrer Stirn' bis zu den Zehen
Uns zu beschreiben: sag' einmal,
Wie könnt' auch ich mein Landhaus und mein Thal
Mit dir so still vorüber gehen?
Im schönsten Thal', durchschnitten von dem Lauf'
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Der Zorga, liegt mein Landhaus wie verloren.
Doch säh' ich gern, trüg's Simson, gleich den Thoren
Von Gaba, einen Berg hinauf.
Zum Glück' indeß blieb mir von allen Seiten
Die Aussicht frei; denn, einer Insel gleich,
Trennt hier ein Busch, dort eine Wies', ein Teich,
Mein Landhaus zwar von guten Leuten,
Doch von den bösen auch zugleich.
Wenn rund umher gleich Thier und Menschen wühlen,
So ist's doch einsam hier und still.
Des Stromes Rauschen, das Gebrüll
Der Stiere, das Geklapper zweier Mühlen,
Des Wächters Schreien: Hört ihr Herrn!
Der Glocken Lauten oder Schlagen,
Wird deine Träume nicht verjagen,
Denn alles hörst du nur von fern.
Fängt ja der Wind im Norden an zu keifen:
Wohl! eine kluge Maus hat mehr als nur ein Loch;
In Süden ist ein Cabinettchen noch,
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Was dort ein Heulen war, wird hier ein sanftes Pfeifen.
Macht's mir die Sonne hier zu arg auf ihrem Thron',
So leb' ich, Freund! in Mitternacht verborgen;
Doch bietet sie im Bette schon
Mir täglich einen guten Morgen,
Dann noch so mild, wie Venus holder Sohn.
Ich will dich nicht durch meine Zimmer führen;
Hier würde dich kein Rod' und Diet'rich rühren,
Kein Nahl dein forschend Aug' erfreun,
Sogar mein Bücherschatz ist Schakspear' 2 ganz allein.
Kurz, außer frohen Menschen, frohen Thieren,
(Denn Doris rechnet Hund' und Papagein
Mit zur Familie,) mag alles,
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Auf jedem Landhaus' unsers Balles,
Leicht schmeichelnder fürs Auge seyn.
Doch hat vielleicht keins eine solche Hütte;
Wenn selbst Herr Goliath zu Pferd' in sie hinein
Mit seinem Weberbaume ritte:
Sie wär' ihm nicht zu niedrig und zu klein.
Sobald der Abendthau auf ihre Blätter fällt,
Wird sie durch Lampen von Kristalle,
So königlich, wie Fingals Bardenhalle,
Durch eines Fürsten Gunst, erhellt.
Die ganze Welt geht dann zu Bette,
Nur du, o Nachtigall! nur du
Schwärmst gern wie wir, singst mit uns in die Wette,
Und du, o Mond! gehst auf der Berge Kette
Langsam vorbei, und hörst uns zu.
Ihr Sperling' aber schlaft, (für euch und uns das Beste!)
Ganz ruhig, über unserm Haupt',
Bei unserm Nachtgesang' im Neste,
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Weil ihr mit Recht an Dortchens Duldung glaubt.
Der Wanderer, gelockt durch Sang und Lampenschein,
Kommt, steht und horcht auf unsrer Lieder Weise,
Sieht zu den Sternen auf und seufzet leise:
O Gott! möcht' ich doch auch so glücklich seyn!
Verräth ihn uns das Bellen unsrer Hunde,
So zieh' ich stracks ihn in die Laub' herein,
Und locke durch Johannisbeerenwein
Aus seiner Brust den Neid, ein Lied aus seinem Munde.
Seht, guter Fremdling, sag' ich dann,
Wir sind vergnügt, wie wir es scheinen,
Doch ihr erblickt hier unter uns auch keinen,
Der nicht durch Fleiß sein Gläschen Wein gewann.
Selbst diese beide muntre Kleinen,
Die euch bedienen, karrten, dort
Den kleinen Berg von Quecken und von Steinen,
Aus unserm Küchengarten fort.
So oft ihr in der Hütte hier, Gesang
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Und Lachen, und der Gläser Klang
Am Abend höret, ist's ein Zeichen,
Daß unser Tagewerk uns allen gut gelang;
So geht nun hin und thut deßgleichen.
Wie schläft es sich so süß auf solchen Tag
Und solchen Abend! Böser Regen!
Das unschuldsvolle Lustgelag
Störst du so früh? doch meinetwegen!
Denn, wenn es, Freund, noch zwanzig Jahr'
Beständig Lenz und Sommer bliebe:
Ich stünde wahrlich in Gefahr,
Daß ich kein Wort, so sehr ich dich auch liebe,
In allen zwanzig Jahren schriebe.
Den Grund sollst du ein andermal erfahren,
Denn jetzt ruft Fritz: die Kutsch' ist angespannt!
Zupft mir am Kleid' und zerrt mich bei der Hand.
Was die Penaten oder Laren
Den Römern einst bei solchem Umziehn waren,
Das, Retzer! bin ich für mein Haus.
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Denn, harrt' ich noch so lange: nicht hinaus
Zum Thore, würden Weib und Kinder fahren,
Wär' ich nicht auch dabei. – Ich muß den Rest versparen,
Der Junge reißt mir sonst den Arm noch aus.

Fußnoten

1 Ein isolirtes Landhaus, eine halbe Stunde von Ellrich, das der Verfasser den Sommer hindurch, bis zum Herbste 1786 bewohnte.

2 This mode of Spelling the name of Shakspeare is adopted out of respect to an autograph of the poet, affixed to his will, preserved in the court of Canterbury. The Monthly Review, for Jan. 1780.

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TextGrid Repository (2012). Goeckingk, Leopold Friedrich Günther von. Gedichte. Episteln. Zweiter Teil. An Joseph Freih. von Retzer, in Wien. An Joseph Freih. von Retzer, in Wien. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-E05A-C