[176] Auf Bürger's Tod

1796.


Kaum vermocht' ich vor ihm mein schwimmendes Auge zu bergen,
Als ich, Jahre getrennt, endlich ihn wieder umfing!
Feuer im Auge, wohin? – Zu todter Asche verglommen!
Und du Stimme voll Klang? Tief in den Busen versenkt!
Thränen erpreßte mir da der Sohn, den Kummer und Liebe
Mit einander gezeugt, zärtlich die Muse gestillt.
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Als auch diese zuletzt, gleich einer alternden Amme,
Immer launigter ward, winkte der freundliche Tod.
Und ich traure nicht mehr, obgleich ich ihn scheiden gesehen,
Kehrt er gleich nimmer zurück, dieser mein ältester Freund.
Endlich hätte vielleicht mein lange vergebliches Streben
Ihn mit dem Boden vereint, dem er so lieblich entsproß.
Blüthen trieb er auf ihm, doch seine goldenen Früchte,
Wie sie der Himmel Petrarchs selten zu reifen vermag,
Trug er, – unglückliche Wahl! – am fremden Ufer der Leine,
Aber ein zeitiger Herbst welkte die Blätter zu früh.
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Doch ich traure nicht mehr, denn selbst ans Ufer der Spree,
Oder und Saale verpflanzt, hätt' er nicht länger gegrünt.
Vormals konnt' ich ja bloß mit meinen Thränen ihn netzen,
Jetzt kam aber zu spät freundliche Sorge für ihn. 1
Nein! ich traure nicht mehr. Er windet aus bleyernem Schlafe
Nicht am Morgen sich noch mühevoll dehnend empor,
Ungewissen Erfolg im Auge des Arztes zu lesen,
Das an der Grenze der Kunst trübe zur Erde sich senkt.
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Ihm verwandelt nicht mehr Bocazes betrogener Eh'mann,
Den ein Fremder belacht, plötzlich in Galle den Wein.
Und nun ruhet der Streit des Geistes, der immer nach Thaten,
Und des Körpers, der stets sich nach der Ruhe gesehnt.
So, so sank er dahin im schönsten männlichen Alter,
Den ich schon herzlich geliebt, als er dem Rehe noch glich,
Als sein kräftiger Arm den Federball über die Spitze
Jenes Denkmals trieb, das sich einst Franke gebaut. 2
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Warum kehrtest du nicht zurück zur wartenden Heimath?
Hofftest du leichtere Bahn, irgendwo größeren Preis?
Du! Am Ufer der Lein' ein Fremdling! Hatte die Spree
Dem Verdienste vielleicht engere Schranken gesetzt?
Ach! dort ließest du dich mit Schnüren binden, von Amorn
Zwar aus Myrthen geknüpft, aber so haltbar wie Hanf.
Dennoch verziehen wir leicht dem ausgewanderten Freunde,
Denn der Gebundene war froher als nimmer zuvor.
Wie zufrieden er saß bei seinem ländlichen Mahle!
Denn mit eigener Hand hatt' er die Bohnen gelegt,
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Selbst gebrochen das Obst, und selbst gewölbet die Laube,
Die dem brennenden Strahl' Gattin und Freunde verbarg.
Wie so ruhig er schlief in seiner reinlichen Hütte!
Denn er hatte des Amts treulich am Tage gewahrt.
Konnt' er wohl glücklicher seyn? Ein Landmann, Weiser und Dichter,
Einig mit andern und sich: Konnt' er wohl glücklicher seyn?
Jüngling! hüte dein Herz! Ach! dünke gegen die Schönheit
Nie dich weise genug, nimmer dich stärker als sie.
Lob verdienet die Flucht, und Tadel der mißliche Zweikampf,
Der des biedersten Manns Herzen den Untergang droht.
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Hast der Kräfte du mehr, als Bürger? Möchtest du wissen,
Welchen gewaltigen Kampf Jahre lang dieser bestand!
Doch, wenn nicht der Tod, so sieget am Ende die Liebe,
Wenn man sich ihrer Gewalt kecklich zu trotzen vermißt.
Sey es dem noch vergönnt, der, gleich dem germanischen Spieler, 3
Seine Freiheit sogar setzet aufs trügliche Spiel.
Aber die hatte bereits der zärtliche Sänger verloren,
Und so ward es ein Kampf, Himmel! auf Leben und Tod!
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Einem Stummen gleich saß er beim ländlichen Mahle,
Denn er hatte nicht mehr selber die Bohnen gelegt.
Jede Stunde der Nacht vernahm er das Krähen der Hähne,
Denn der vergangene Tag füllte mit Träumen die Nacht.
Gab um einen Preis, der ihm selbst Thränen erpreßte,
Gleich die verlorene Ruh' Hymen ihm wieder zurück,
O so gab er doch nicht, (wie konnt' er?) den Frohsinn ihm wieder,
Dem, ein schweres Gewicht leichter zu fühlen, genügt.
Dennoch hätte vielleicht die zweite Pflegerin lange
Frei von Falten die Stirn ihm zu erhalten gewußt;
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Sie, die ein hohes Lied selbst fremder Barden verdiente,
Tausendfach mehr noch seins, das ihr Unsterblichkeit gab;
Sie, die Alles für ihn erduldet, Alles geopfert,
Seine Freude zu seyn! – wurde, verscheidend, sein Schmerz.
Mitten im frohen Gewühl' der Jünglinge schwankte sein Leben,
Wenn ein düsterer Gram Leben zu heißen verdient.
Siehe! da bringet ein holdes Geschöpf, die Thräne des Mitleids
In dem Auge voll Geist, Lieder im rosichten Mund',
Ihm aus Schwaben ihr Herz, zufrieden, fände der Wittwer
Nur zur Hälfte darin seines Verlustes Ersatz.
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Was bedurft' es denn mehr, die Seele des Dichters zu wecken,
Der, so dürftig er war, höher dieß schätzte als Gold?
Ach! es spornte so lange des Eremiten Entschlüsse,
Bis der gefährliche Sprung nicht mehr ein Wagestück schien,
Bis er, taumelnd, vergaß, ob eingefallene Wangen,
Und ein Auge, das kaum Sternengeflimmer noch glich,
Lange der Schwärmerin wohl auch da zu gefallen vermöchten,
Wo der Adonen ein Heer Augen und Ohren bestürmt.
Nein! ich traure nicht mehr. Er wandelt im Lande der Ruhe,
Frei von dem feurigen Blut', welches sein Treiber hier war.
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Ein zu zärtliches Herz – was werfet, ihr kälteren Tadler,
Sonst dem Sänger noch vor, kanntet ihr anders sein Herz?
Aber ihr kennet vielleicht nur seiner Leyer Gesänge?
Also – dieß schwöret sein Freund! – grade sein kleinstes Verdienst.

Fußnoten

1 Der Verfasser hatte sich für Bürger verwendet, ihn als besoldeten Professor in Halle anzustellen, und große Hoffnung, dieß bei der ersten schicklichen Vacanz erfüllt zu sehen, als Bürger starb.

2 Das Pädagogium zu Halle, auf dem Bürger und der Verfasser zu gleicher Zeit erzogen wurden.

3 Tacitus, von den Sitten Germaniens, im 23. Cap.

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TextGrid Repository (2012). Goeckingk, Leopold Friedrich Günther von. Gedichte. Elegien. Auf Bürger's Tod. Auf Bürger's Tod. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-E137-1