Leopold Friedrich Günther von Goeckingk
Episteln
Zweiter Theil

[5] An Augusta von **

In der Nacht vor der Abreise von **.


Indeß vielleicht dein Auge längst nach mir,
Die Straß' herab, durch Morgennebel dringt,
Und jeder Laut von ferne dir
Des Zaudrers Gange ähnlich klingt,
Der Kessel Stunden lang nach mir
Auf deinem Kohlenbecken singt,
Und du zu einem kleinen Zanke
Dich anschickst, daß ich früher nicht mein Wort
Dir halte, besser nicht für deine Sorgfalt danke,
Bin ich – o Gott! ich mußte! – bin ich fort!
Ach! als ich gestern das Versprechen,
Dich noch einmal zu sehn, mit einem Schwure that,
[5]
Da war ich schon, was auch mein Herz mich bat,
Entschlossen, diesen Schwur zu brechen.
Doch, daß ich nichts als diese Hoffnung dir,
Die letzte Hoffnung! noch gelassen:
O sicher dankst du einst dafür!
Denn, sage selbst, wie könnten wir
Vor Zeugen uns beim Abschied' fassen?
Die Liebe hat nicht gern, wenn sie sich trennen muß,
Daß jemand ihre Seufzer höre,
Will, daß ihr letzter Abschiedskuß
Sich, ungesehn, zu tausenden noch mehre.
Denn ach! es ist so süß, wenn jeder noch zuletzt
In Thränen, Mund an Mund, zerrinnet,
Zum Wiedersehn auf Möglichkeiten sinnet,
Und immer kürzre Fristen setzt.
O mildre denn, Augusta, deinen Zorn!
Bedenke! Wenn ich auch im Reisekleid' und Sporn,
Noch jetzt auf deiner Mutter Sopha ruhte,
Der Postknecht aber stieß' ins Horn,
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Ich spräng' jetzt auf, und griffe nach dem Hute,
Und wischte mir verstohlen vom Gesicht'
Die Thränen weg: wie wäre dir zu Muthe?
Verstellung hilft dann selbst den Mädchen nicht.
Du ständest da, und wolltest gerne weinen,
Und dürftest nicht; mit Zittern hörtest du
Dem treuen Abschiedswunsch' der Deinen,
Der Reihe nach, halb weggewendet zu.
Itzt dreht' ich mich nach deiner Seite
Verworren hin, weiß wie ein Leichenstein,
Und suchte nach dem Scherz', der sonst mir das Geleite
So treulich gab, mir seinen Schleier heute,
Nur heute noch für meinen Schmerz zu leihn.
Ach aber er begleitet nicht die Liebe,
Die sich vielleicht auf immer trennt.
Ich müßte gehn, so gern ich auch noch bliebe,
Und ohne Kuß, so gern mir deine Liebe
Auch Tausende mit auf die Reise gönnt;
Selbst ohne Wunsch; denn ehe deinen Namen
[7]
Die Etikette soll verdrehn,
Und aus ihr Faß voll Komplimente kramen,
Ist's besser, stumm davon zu gehn.
Zwar bin ich fort; doch darfst du nicht entgelten,
Was ich verbrach, denn keines Vaters Schelten
Betäubt, verschüchtert Täubchen, dich,
Daß du beim Abschied', wie betrunken,
Gestammelt hast; kein Fluch verfolget mich,
Daß du in Ohnmacht bist gesunken.
Wenn Blässe dein Gesicht bedeckt,
Und wenn's in deines Bettes Kissen
Mit seinen Thränen sich versteckt,
Werd' ich allein, warum du weinest, wissen.
Wer eine Zung' im Munde trägt,
Wird freilich, was dir fehlt? dich fragen,
Und wem ein Herz im Busen schlägt,
Um dich, geliebte Kranke, klagen;
Ich aber werd' allein die Schuld,
Und deinen Zorn und deine Huld,
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Mit mir herum im Herzen tragen.
Das ganze Haus wird dich am Körper krank,
Allein nicht siech an deiner Seele glauben;
O wisse drum den Muth mir Dank,
Daß ich die ganze Nacht an meinen Thränen trank,
Um deiner Küsse mich, mich selber zu berauben!
Als ich in deines Vaters Garten
Mit dir spatzieren ging, und dort zum erstenmal
Die Worte dir im Mund' erstarrten,
Dein Aug' auf mich nur einen halben Strahl
Noch werfen konnt', und deiner Hand
Der Strauß entfiel, den sie mir geben wollte:
O wehe mir, daß ich dich da verstand!
Ich, der dich nie verstehen sollte!
Zwar deine Lieb' ist Engelrein;
Dir ist's genug, bei mir dich zu verweilen,
Und wollt' ich dich von deiner Schwachheit heilen,
So dürft' ich nur zu kühn auf einmal seyn.
Doch ach! wie leicht glitscht man den Berg hinunter,
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Wo auf der Wanderschaft uns Lieb' und Tugend traf!
Der erste Kuß macht das Gewissen munter,
Der tausendste bringt's wieder in den Schlaf.
Vielleicht wird dieß den edelstolzen Muth
Der Tugend, die dich führet, kränken;
Du liebst zum erstenmal: wie kannst du arges denken?
Du meinst es ja so herzlich gut!
Du glaubst, du kannst auf mich vertrauen:
Und ach! mir selber trau' ich nicht!
Und grade drum, weil du in mir den schlauen,
Am Hof' polirten Bösewicht
Nicht fürchten darfst, kannst auf den Sand du bauen.
Du zweifelst noch, Augusta? Wie?
So frage selbst dich, würdest du mir wehren,
Dich mit der Zauber-Melodie
Der Lieb', allmählig zu bethören?
Gesteh es nur: zu süß, zu süß ist sie!
Und dann – bist du schon halb verloren!
Und wenn sie mich am Ende mit betäubt,
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Nicht eine Gottheit mir die Ohren
Verstopft, und mich von dannen treibt,
Wird der, der kaum dein Schutz zu seyn geschworen,
Dein Räuber, wenn er länger bleibt.
So gehen auf beschneiter Heide,
Zwei Wanderer; der Eine hat noch kaum
Den andern erst gewarnt – schon aber sitzen beide
Im süßen Schlaf' erstarrt an Einem Baum'.
Wer nie für Schmeichelei, und Geld
Und Gunst der Großen dieser Erden,
Zum Schurken ward: o! sicher hält
Der für unmöglich, es zu werden.
Und doch: wie leicht macht Lieb' ihn nicht dazu?
Denn glaub', Augusta, du, selbst du,
Kannst stärker nicht, als ich, das Laster hassen,
Und dennoch ruft mir oft die Weisheit zu:
Mich auf mich selbst nicht wieder zu verlassen.
Gewagt hab' ich's zwar einst; doch ach!
Wenn die mir nicht verlobt gewesen wäre,
[11]
An deren Busen ich, die Sinnen alle wach,
Im Mondschein' lag: für Tugend und für Ehre,
War damals schon mein Herz zu schwach.
So aber, schwebte meinen Blicken
Das Reis zum Myrtenkranze vor;
Und Schade war es, das zerknicken,
Denn grade schoß es itzt zur Blüth' empor.
Wohl brach ich's auch in seiner Blüthe!
Verdammt sey, wer ein zweites bricht,
Eh' dieses hier – was Gott verhüte! –
Zu Staub vermodert ist. Jetzt ist es zwiefach Pflicht,
Daß ich die Hand vor diesem Frevel hüte.
Noch rührt' ich dich mit keinem Finger an,
Du schönster Rosenstock in deines Königs Garten!
Doch laß mich nicht zu lange warten;
Die Flucht allein macht hier den braven Mann.
Hatt' ich nicht tausendmal geschworen:
»Das alles, Freunde! was ich mein
Nur nennen kann, soll alles auch verloren
[12]
An meinem Hochzeittage seyn?«
Ich kannte keinen größern Thoren,
Als der sich selbst in Fesseln schlug,
Und war, – dazu sind wir geboren! –
Der erste, der sie willig trug.
Itzt hab' ich nichts mehr wegzugeben,
Als einen matten Blick und einen leichten Scherz.
Sag', möchtest du bei beiden mit mir leben?
Nein, lieber nichts, wenn nicht das ganze Herz.
Denn ach! die Liebe, die mit Blicken
Befriedigen des Herzens Wünsche soll,
Wird endlich, quillt es erst zu voll,
Das Herz im Busen selbst ersticken.
Zwar gibt's der starken Seelen viel,
Die Jahre lang sich willig dran begnügen,
Die jeden Wunsch und jeden Schmerz besiegen,
Und ohne Hoffnung, je ans Ziel
Zu kommen, sich nicht müde fliegen.
Allein so stark, Augusta, bin ich nicht;
[13]
Es läßt sich leicht von Tugend und von Pflicht
In jedem andern Falle prahlen,
(Wiewohl der Weise prahlet nicht,)
In diesem nur, sind Worte leere Schalen.
So schwach ich war, dir zu gestehn,
(Was schon auf meinen Lippen zum Vergehn
Der Treue wird,) daß ich dich liebe!
So stark bin ich itzt wieder, und will gehn,
So gern ich auch bei dir noch bliebe.
Ach! Mädchen, kann ich anders? Sag'!
Muß ich nicht dir durch einen Thränentag,
Vielleicht den Schmerz von vielen Jahren,
Und mir, der sonst so sanft im Arm' der Treue lag,
Ein Lagerbett auf Dorn ersparen?
Ich darf nicht dein Geliebter seyn,
Und geh' ich oft bei dir noch aus und ein,
So kann ich selbst dein Freund nicht länger bleiben;
Denn fing die Pflicht nicht an, sich schon zu sträuben?
Zu groß ist hier der Reitz, Rebell zu seyn.
[14]
Doch, wenn uns erst drei Länder trennen,
Dann bin ich dir ein wahrer Freund;
Und lernten wir denn bloß für diese Welt uns kennen,
Auf der so kurz die Sonn' uns scheint?
Wir finden einst, wenn jeder ausgeweint,
Uns wieder, um uns nie zu trennen.

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TextGrid Repository (2012). Goeckingk, Leopold Friedrich Günther von. Gedichte. Episteln. Zweiter Teil. An Augusta von **. An Augusta von **. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-E1FB-7