[260] An Boie, in Hannover 1

Im Mai 1779.


Wie nun? Gefällt
Die kleine Welt
Um Ellrich her,
So gut von fern,
Als nah, dem Herrn
Stabs-Sekretär?
Noch zwanzig Länder
Mag er besehn,
Und nirgend fänd' er
Die Welt so schön.
[261]
Allein verschwend' er
Sein Lob nur nicht;
Selbst ein Gedicht
Voll Rühmens, wäre
So lieb mir nicht,
Als jene Zähre,
Die vom Gesicht'
Ihm auf der Spitze
Des Berges rann,
Wo ich, vom Sitze
Auf Timian,
Mein Paradies
Ihm schweigend wieß.
Dein Auge sah
Sich brennend um;
Wie sprühten da
Nicht seine Funken
Um mich herum!
Du saßest trunken,
[262]
Und starr und stumm,
In dich versunken,
Hier einen Park,
Wie der von Vater
Adam, zu schaun;
Denn sind nicht traun!
Vauxhall und Prater
Dagegen Quark?
Seit der Minute
Wird sicherlich
Von meinem Blute
Der letzte Tropfen,
O Freund, für dich
Im Herzen klopfen.
Denn ist es schon
Ein schlimmes Zeichen,
Wenn Harfenton
Uns nicht erweichen,
Der Talismann
[263]
In deiner Kehle,
O Philomele!
Nicht fesseln kann:
So ist der Mann
Wohl ohne Zweifel
Ein halber Teufel,
Der gähnen kann,
Wenn er den Park
Mit Eins erblickt,
Der bis aufs Mark
Uns beid' entzückt.
Doch, sey der Mann
Kein Bösewicht,
Mag, wenn er spricht,
Sich selbst daran
Die Wißgier laben:
Mit allen Gaben,
Mag ich ihn nicht
Zum Freunde haben!
[264]
Denn wär' er gleich
Auch an Verstand
Noch Eins so reich,
Als jene Sieben
In Griechenland,
So mag ihn lieben,
Wer im Gewühl'
Der Autorschaft,
Sich um Gefühl
Und Lebenskraft
Herum geschrieben.
Was fing' ich an
Mit einem Mann',
Der keine Ohren
Am Kopfe hat,
Wenn vor den Thoren
Der düstern Stadt,
Die Nachtigall
Im Busche singt,
[265]
Der Wasserfall
Nach ihren Tönen
In Wirbeln springt,
Und süßes Sehnen
Ins Herz der Schönen
Allmächtig dringt?
Und wozu kann
Ein Mann wohl taugen,
Der grade dann
Nur keine Augen
Im Kopfe hat,
Wenn ich auf Höhen
Ihn führe, satt
Sich hier zu sehen?
Was fing' ich an
Mit einem Mann',
Der keine Nase
Für Veilchen hat?
Der Lagerstatt
[266]
Im weichen Grase
Zu sehr entwöhnt,
Sich rückt und dehnt,
Und sich nach Hause
Aufs Sopha sehnt?
Zu einem Schmause,
Den die Natur
Auftischet nur
Für unser Einen,
Lad' ich so keinen.
Doch, wer, wie du,
Noch Aug' und Ohren
Nicht hat verloren,
Der komm' herzu!
Der soll dann schmecken
Die Süßigkeit,
Die keinen Gecken
Das Herz erfreut,
Auch keinen Weisen,
[267]
Die gleich den Schnecken
Nach Weisheit reisen,
Gelehrsamkeit
Zwar nach Vermögen
Der Welt anpreisen,
Doch ach! dagegen
Zufriedenheit
Kalt von sich weisen.
Hat darum dir
Im Tannenhain'
Mein junger Wein
So süß geschmeckt,
Weil Wißbegier
Dich frühe weckt,
Und sich vor dir
Kein Herz versteckt?
Und sind denn wohl
Des Harzes Beeren
In deinem Munde
[268]
Schon aus dem Grunde
So Honigvoll,
Weil du die Lehren
Der Salze kennst,
Und manche Stunde
Der Kräuterkunde
Auf Fluren gönnst?
O Freund, fürwahr!
Du hätt'st das Jahr,
Worin mein Wein
Am Niederrhein'
Gekeltert war,
Gewiß errathen,
Wenn dir kein Feld
Mit Büsch' und Saaten
Sich dargestellt.
Hannovers Beeren,
Mein Trauter, wären
Gerade wohl
[269]
So Honigsüß,
Als unsre Beeren,
Wenn ich dich ließ'
Ein Körbchen voll
Im Paradies'
Von Ellrich, leeren.
Längst wär' ich schon
Von Haus und Hof
Und Amt entflohn;
Doch, wenn's am Stoff'
Zu Thränen mir
Im Herbst' nicht fehlte,
Im Winter schier
Der größte Mangel
Mich Armen quälte,
Der dann, bald hier
Bald da, den Angel
Nach Freundschaft, ach!
Umsonst warf aus:
[270]
Ging ich zum Bach'
Der Wies' hinaus,
Und kam im Schimmer
Des Mondes, immer
Vergnügt nach Haus.
O! vollends nun
Mit einem Freund'
Am Bache ruhn,
Der dankbar weint,
Daß Gott auf Erden
Solch Paradies
Uns Menschen ließ
Zur Freude werden:
Die Lieb' allein
Nur ausgenommen,
Kann nichts so frommen!
Und Lieb' und Wein
Verrauchen bald;
Doch wenn ich alt
[271]
Wie Nestor werde,
Die Sympathie
Mit Gottes Erde,
Wird darum nie
In mir erkalten,
Und die Natur
Mir neu erhalten.
Gewinn denn nur
Das große Loos
Der Lotterie!
Dann flieh, dann flieh,
Und ruh' im Schooß'
Der Freundschaft aus,
Und, wo du, Freund,
Entzückt geweint,
Da bau' ein Haus!
Ist das gebaut,
So führe du
Uns deine Braut
[272]
Als Freundin zu;
Dein Hochzeitschmaus
Weiht dann das Haus
Mit Becherklange,
Mit Rundgesange,
Mit Küssen ein;
Das ganze Leben
Soll eine lange
Hochzeit nur seyn! –
Glück! kannst du geben?

Fußnoten

1 Nach einem Besuche, den er dem Verfasser, im Mai 1779. zu Ellrich gegeben hatte.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goeckingk, Leopold Friedrich Günther von. Gedichte. Episteln. Erster Teil. An Boie, in Hannover. An Boie, in Hannover. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-E27F-A