[324] An seinen Herrn Vater, zu seinem Geburtstage

1727 den 7 Sept.


Theurer Vater! Pflicht und Eifer feuren mich itzt doppelt an,
Daß ich dein Geburtsfest heute schweigend nicht entehren kann;
Daß sich meine Dankbarkeit mit gestärkten Trieben reget,
Und dir dieß getreue Blatt freudenvoll vor Augen leget.
Unsre Trennung, treuster Vater! schwächet meine Liebe nicht;
Hat gleich mein entferntes Auge dein geehrtes Angesicht
Schon bis in das vierte Jahr sehnsuchtvoll entbehren müssen:
So ist doch dein werthes Bild nicht aus meiner Brust entrissen.
Stündlich stellt sich in Gedanken dein Gesicht, dein graues Haar,
Und des wohlgewachsnen Körpers ehrenwerthes Ansehn dar.
Stündlich siehet dich mein Geist in dem langen Priesterkleide,
Und ergetzet sich an dir mit der allerzärtsten Freude.
O wie wallte mir der Busen, wenn ich oft die Post empfieng,
Daß es dir und deinem Hause glücklich und nach Wunsche gieng;
Daß dein hochgeschätztes Haupt, bey des schweren Amtes Bürde,
In Gesundheit, Kraft und Heil mit Vergnügen grauer würde.
Und wie sehr war ich bekümmert, wann mir ein betrübtes Blatt,
ManchenSchmerz, der dich betroffen, wehmuthvoll berichtet hat;
Wann dich bald ein Zufall traf, der des Leibes Kräfte schwächte,
Bald ein herber Todesfall, der entweder dein Geschlechte,
Oder gar dein Haus beraubte, dir bis in die Seele drang;
Und auch mir die heißen Zähren häufig in die Augen zwang.
Hier gebricht es mir an Kunst, hier gebricht es mir an Bildern,
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Was mein Herz dabey gefühlt, klar und lebhaft abzuschildern.
Doch was war dieß alles Wunder? Wäre gleich mein Herz ein Stein,
Könnt es doch bey deiner Freude nicht ohn alle Regung seyn;
Könnt es doch bey deiner Qual nicht ganz unempfindlich bleiben:
Denn, mein Vater! dir allein hab ich alles zuzuschreiben.
Zwar ich weis so gut als jemand, daß der Herr der ganzen Welt,
Und kein Mensch, mir Leib und Seele selbst gebildet und erhält.
Doch ich weis auch, daß er selbst, da ich fast noch nichts gewesen,
Dich, o werthgeschätzter Mann! mir zum Vater auserlesen.
Tausend Dank sey deiner Güte, Schöpfer! der du mich gemacht,
Daß du mir nach deiner Weisheit diesen Vater zugedacht.
Hundert andre mögen sich murrend über dich beklagen,
Und sich voller Ungeduld oft mit den Gedanken schlagen:
Warum hat mich doch kein König, Herzog oder Graf gezeugt?
Warum war mir doch das Schicksal nicht so wohl, als dem, geneigt,
Dem ein Crösus dieser Zeit, nicht allein sein Leib und Leben,
Sondern auch viel Geld und Gut, Adel und Geschlecht gegeben?
Nein, ich wünsche keinen Vater, wie ihn mancher Thor begehrt,
Denn ich fände keinen bessern, als den mir der Herr beschert:
So, daß wenn ich hundertmal selber einen wählen sollte,
Ich auch hundertmal nur ihn, keinen andern nehmen wollte.
Kein Verstellen oder Häucheln dringt mir dieß Bekenntniß ab,
Wie wohl ehr ein Ungerathner fälschlich die Versichrung gab.
Nein, mein Vater! deine Gunst darf ich mir nicht erst gewinnen,
Noch zu Dämpfung deines Zorns neue Schmäucheley ersinnen:
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Denn da du mich stets geliebet, o so schwör ich dir getreu;
Daß mein Wort ein reiner Ausdruck innerster Empfindung sey.
Hättest du mich nur erzeugt, würd ich dir schon Dank erweisen;
Hättest du mich nur versorgt, würd ich dich gedoppelt preisen:
Aber dieß war dir zu wenig; du hast mehr an mir gethan,
Als auch von dem besten Vater je ein Sohn verlangen kann.
Deiner Lehren Honigseim, dein getreues Unterrichten,
Kann mich wahrlich tausendfach zur Erkenntlichkeit verpflichten.
Ach! ich denke noch der Stunden, als mir durch mein andres Jahr
Kaum der zarte Fuß zum Gehen stark genug geworden war;
Als der Mund kaum fähig schien, dir die Sylben nachzulallen,
Wie dir meine Lehrbegier damals schon so wohl gefallen.
Ich erinnre mich der Zeiten, da ich dir im Schooße saß,
Und, nach deiner Unterweisung, etwa deutsch und römisch las.
O wie lieblich wußtest du bald mit lockenden Geschenken,
Mit Versprechen, Scherz und Lust meine Neigungen zu lenken.
Durch die väterliche Klugheit ward die Arbeit mir ein Spiel:
Denn sie machte, daß mir alles, was mir nützte, wohlgefiel.
Mit den Jahren wuchs dein Fleiß, und so ist mein Schülerorden,
Der viel tausend Knaben quält, mir ein Paradies geworden.
O wie lieblich ward mir ferner aller freyen Künste Grund,
Durch die väterlichen Lippen, schon in früher Jugend kund!
War doch keine Wissenschaft, die sich nur für Knaben schicket,
Die mir deine Sorgfalt nicht mit Vergnügen eingedrücket.
Schon in meinem zwölften Jahre führtest du mich bey der Hand
In das Chor der deutschen Musen, welches du vorlängst gekannt.
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Dein Exempel gieng mir vor, denn nach deiner Seyten Tönen
Ließ sich meines neuen Rohrs ungeübter Klang gewöhnen:
Bis mir endlich Albertine, wo der Musen Wohnplatz war,
Mehr Geduld und Lust zum Dichten, mehr Geschick u. Stoff gebahr.
O wie wär ich hier geneigt, meine Lehrer zu erheben!
Doch dieß Blatt erlaubt mir kaum ihre Namen anzugeben;
Rohde, Gehrke, Bläsing, Meyer, Sanden, Fischer, Gregorow,
Kreuschner, Liljenthal u. Langhans, Hahn u. Qvandt u. Masecow,
Pietsch u. Rast! euch weis ichs Dank, daß mich euer kluges Wissen
Aus des Unverstandes Nacht an der Weisheit Licht gerissen.
Hier erfüllet meine Feder mit Vergnügen ihre Pflicht,
Wollt ihr mich noch mehr verbinden; schämt euch eures Schülers nicht!
Wird die späte Welt dieß Blatt unter meinen Liedern lesen,
Soll sie, euch zum Ruhme, sehn, wessen Lehrling ich gewesen.
Aber dir, geehrter Vater! bleibt dennoch der erste Ruhm:
Alles, was ich bin und habe, nennet sich dein Eigenthum.
Deine weisheitvolle Zucht führte meine schwache Jugend,
Die sonst leichtlich wankt und fällt, auf die rechte Bahn der Tugend.
Ach! wie nützlich war dein Strafen u. dein Warnen meiner Brust,
Und wie oft entzog dein Drohen mich den Netzen böser Lust!
Oftmals schwieg dein kluger Mund: aber selbst dein ernstes Schweigen,
Wußte besser, als der Zwang, meine Pflichten mir zu zeigen.
Blickte mich dein strenges Auge nur von einer Seiten an;
Wußt ich besser, was du wolltest, als es jemand glauben kann.
Deine Schärfe pflegte sich mit Gelindigkeit zu würzen.
Kinder, nach Tyrannenart, nur in Sclavenfurcht zu stürzen,
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Ist dein Werk wohl nie gewesen: Huld und Sanftmuth war das Band,
Dessen Zug ich mehr empfunden, als die Strafe deiner Hand.
Itzt erkenn ichs allererst, was mir deine Zucht genützet;
Itzo seh ich, daß Vernunft all dein Wesen unterstützet;
Itzt verehr ich deine Tugend, welche mit Gelassenheit
Mehr gewirkt, als oft ein andrer mit Gewalt und Heftigkeit.
Wenn der Bosheit Wuth und List dir zu schaden sich erkühnet,
Sprachst du ruhig: Laß es seyn, denn wer weis, wozu es dienet?
Dieß hat mir bey bösen Stunden oftmals neuen Muth gemacht,
Und allmählich durch Erfahrung ganz zu deiner Art gebracht.
Du sollst mir ein Muster seyn! und dein tugendhaftes Leben
Soll mir künftig, bis ins Grab, meiner Sitten Vorschrift geben.
Habe Dank, o liebster Vater! daß du mich so wohl geführt;
Habe Dank für deine Regeln, deren Frucht ich längst gespürt;
Habe dank für deine Zucht; habe Dank für dein Exempel,
Welches mich fast mehr erbaut, als dein Lehren in dem Tempel.
Lebe glücklich! lebe fröhlich! Gebe Gott, daß dieser Tag,
Der dir so beglückt erschienen, noch sehr oft erscheinen mag!
Sorge nicht für deinen Sohn: denn das Schicksal wachet oben,
Und hat mir, nach seinem Rath, meinen Platz schon aufgehoben.
Fehlt mirs doch an keinem Dinge, was ich selber wünschen kann:
Geht mirs künftig nur nicht schlimmer, nehm ichs voller Freuden an.
Meiner liebsten Mutter Hand will ich in Gedanken küssen.
Sollt ich aber ihren Kuß lebenslang entbehren müssen;
Soll doch meine zarte Liebe gegen sie beständig seyn,
Und ich weis, ihr Muttersegen folgt mir bis zum Grabestein.
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Werthste Aeltern! thränenvoll saht ihr mich aus Preußen scheiden:
Gott erfüll euch jederzeit mit den allerzärtsten Freuden!
Ich beschließe diese Zeilen: Lebe wohl, geehrtes Paar!
Ich bin ewig, theurer Vater! was ich unverändert war.

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TextGrid Repository (2012). Gottsched, Johann Christoph. Gedichte. Gedichte. Poetische Sendschreiben. An seinen Herrn Vater. An seinen Herrn Vater. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-E3EC-A