[30] Bey widriger Schifffahrt über die Ostsee, auf der Höhe von Bornholm entworfen

1729 im Jun.


Andrer Vater deutscher Lieder,
Edler Flemming, Phöbus Sohn,
Komm, erneure doch den Ton
Deiner edlen Laute wieder!
Hast du Reußen und Circassen,
Und die wilde Tartarey,
Ja die Perser hören lassen,
Was die Kunst der Musen sey;
O so stimme, wie vorzeiten,
Meiner Zither schlaffe Seyten.
Stund nicht Liefland halb vernarret?
Stutzte nicht der kalte Belt?
War die halbe Norderwelt,
Bis zur Wolga, nicht erstarret?
Deines hohen Geistes Feuer
Schmelzte Rußlands tiefsten Schnee;
Ja das Eis ward endlich theuer
An der runden Caspersee.
O wo ist von deinen Trieben
Die verglimmte Glut geblieben.
Eben die beschäumten Wellen,
Deren Spiel ich itzo bin,
Sah ja dein gesetzter Sinn
Vormals zu den Wolken schwellen.
Aber wenn sie rauschend rollten,
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Und durch ihrer Fluthen Fall
Deine Lieder dämpfen wollten,
Dämpfte Thetis ihren Schall;
Thetis, die das Sprudeln störte,
Wenn sie dich von weiten hörte.
Sagt, ihr blaulichten Tritonen!
Warum hört ihr mir nicht zu?
Warum wollt ihr meine Ruh
Nicht so wohl, als Flemmings, schonen?
Doch ich kann es leichtlich merken:
Könnt ich nur mein Seytenspiel
Recht nach seiner Laute stärken,
Die euch damals wohlgefiel;
Würdet ihr zu meinem Dichten
Williger die Ohren richten.
Raast denn, raast, ihr Wasserwogen!
Spritzt und schäumet noch so viel;
Mein verwerflich Seytenspiel
Ist mit eigner Hand bezogen.
Wälzt euch, ihr gesalznen Hügel!
Schwemmt mein Schiff durch Sturm und Wind,
Dessen ausgespannte Flügel
Eure nasse Nachbarn sind;
Aber endlich legt euch wieder,
Und vernehmt auch meine Lieder.
Ich besinge mit Vergnügen
Mein verlaßnes Vaterland,
Wo ich an Euterpens Hand
Den Parnaß zuerst bestiegen;
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Odoacers Schloß und Brücken,
Albertinens Glanz und Pracht,
Der des Pregels breiter Rücken
Alle Länder zinsbar macht;
Und wo mit geübten Zungen
Dach und Pietsch mir vorgesungen.
Dann erheb ich, ausser Preußen,
Sachsens schöne Lindenstadt,
Leipzig, das nichts gleiches hat,
Und das glückerfüllte Meißen.
Leipzig, wo sich meine Flöten
Etwas besser ausgespielt,
Und im Chore der Poeten
Manches Kenners Lob erzielt;
Als von Friedrich Augusts Thaten
Mir ein Heldenlied gerathen.
Nebst der klugen Philurenen,
Wo ich mich bisher befand,
Rühm ich auch den Weichselstrand,
Und die Anmuth meiner Schönen;
Meiner dichtenden Louisen,
Welche mich so stark gerührt,
So viel Geist und Witz erwiesen,
Als ich irgendwo gespürt;
Und durch angenehme Sitten
Mir zuerst das Herz bestritten.
Theurer Opitz! dessen Schatten,
Dessen Gruft noch Danzig ehrt,
Hast du meinen Wunsch erhört,
So wirst du mir eins verstatten.
Sang dein süßes Rohr vorzeiten,
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Von der langen Vandala:
O so rühr itzt meine Seyten,
Auf mein Licht, Victoria;
Auf mein Leben, Adelgunden,
Die mich neulich überwunden.
Sie verdients mit allem Rechte,
Sie, die Geist und Schönheit hat,
Daß sie dein unsterblich Blatt
Auf die späte Nachwelt brächte.
Doch, was braucht sie fremder Werke
Zum Gewinnst der Ewigkeit?
Ihres eignen Griffels Stärke
Trotzt schon der Vergessenheit.
Könnt ich ihr nur auch entrinnen,
Furstinn deutscher Castalinnen!
Ist mir recht? die stolzen Wellen
Legen sich mit ihrer Wuth;
Und der Tiefen müde Fluth
Höret auf so sehr zu bellen.
Die begierigen Sirenen
Geben auf mein Singen acht,
Weil der Namen meiner Schönen,
Jeden Ton ganz lieblich macht.
Seht doch, wie sich die Najaden
Scherzend um mein Schifflein baden!
Ach! entzückst du auch die Winde,
Schönste! warum strafst du mich?
Warum zürnst du, daß ich dich
Witzig, schön und artig finde?
[34]
Soll ich blinder, als die Fluthen,
Tauber, als die Stürme, seyn?
Ist mir das wohl zuzumuthen?
Selbst die Wahrheit spricht ja: Nein.
Warum soll ich denn im Schreiben
Gegen dich ganz frostig bleiben?
Warum kannst du es nicht leiden,
Daß mein Schiff die Hoffnung heißt?
Soll denn mein getreuer Geist
Deinen Wohnplatz ewig meiden?
Warum soll ich doch nicht hoffen?
Steht entweder meinem Bort
Danzigs Hafen nicht mehr offen?
Oder sperrst du selbst den Port?
Nein! Die Hoffnung und mein Glücke
Führt mich doch dereinst zurücke.
Aendre künftig die Befehle,
Zwinge meine Regung nicht.
Schilt nicht, daß ich dich, mein Licht!
Unter große Seelen zähle.
Ueberlaß mich nur den Trieben,
Die du selbst in mir erweckt:
Denn soll ich den Werth nicht lieben,
Den dein Wesen mir entdeckt;
O so wird noch einst auf Erden
Alles Lieben strafbar werden.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Gottsched, Johann Christoph. Gedichte. Gedichte. Oden. Bey widriger Schifffahrt über die Ostsee. Bey widriger Schifffahrt über die Ostsee. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-E3FF-2