[131] An die berühmte Frau Dacier

Ihr Todten! könnt ihr uns erscheinen,
Wenn gleich der Leib im Grabe liegt;
Wo auf den modernden Gebeinen
Verwesung, Graus und Schimmel siegt;
Schwebt euer Geist noch um die Grüfte,
Bewohnt ihr noch die tiefen Lüfte:
So laßt doch meinen Wunsch geschehn.
Ach! wollte mir ein Ruf gelingen:
So ließe sich vor allen Dingen
Die hochberühmte Dacier sehn.
Ich irre. Nein! Euch, fromme Schatten,
Erquicket das Elyserfeld:
Da kömmt euch euer Thun zu statten,
Da denkt ihr kaum der Oberwelt.
Mercur, du starker Wunderthäter,
Sey du einmal auch mein Vertreter,
Dein Ansehn ist beym Pluto groß:
Durch deinen Fürspruch kann mirs glücken;
Er giebt dir leicht mit holden Blicken
Die jetzt verlangte Todte los.
Du fragst mich: Soll sie wieder leben?
O nein, Mercur! das wünsch ich nicht:
Sie soll mir nur den Anschlag geben,
Den sich mein Herz von ihr verspricht.
Ein Augenblick wird mich belehren:
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Alsdann mag sie zurücke kehren,
Wo ihre Tugend sie belohnt.
Wohlan, ich seh den Götterbothen,
Er eilt, er fliegt ins Reich der Todten,
Wo Marter und Vergnügen wohnt.
Ich bin erhört. Seht! Charons Nachen,
Der immer leer zurücke fährt,
Muß, mir zu gut, was neues machen;
Dieweil es Pluto selbst begehrt.
Die theure Dacier kömmt zurücke,
Sie stellt sich anfangs meinem Blicke
Nach Art getrennter Geister dar:
Doch giebt Mercur mit seinem Stabe,
Durch die beruffne Wundergabe,
Ihr alles, was sie lebend war.
Sie liest. Ich seh ihr edles Wesen,
Das ihr aus Blick und Minen stralt;
So Tracht als Gang ist auserlesen,
Kein Künstler hat sie so gemalt.
Sie kehrt die scharfen Augenlichter
Auf dich, du Vater aller Dichter!
Als dessen Schrift sie bey sich trägt.
Sie lächelt fast bey jeder Zeile,
Bis sie, nach einer kurzen Weile,
Entzückt in beyde Hände schlägt.
O welch ein Glücke, dich zu schauen,
Du Wunder der Gelehrsamkeit!
Erlaube mir, Schmuck aller Frauen!
Zu fragen, was dich so erfreut?
Kann denn Homer mit seinen Sätzen,
Dich auch im Tode noch ergetzen,
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Der doch bey uns nicht mehr gefällt?
Ja, spricht sie: Solche Seltenheiten
Bewundern auch die Ewigkeiten
In unsrer tiefen Unterwelt.
Was ist nun ferner dein Begehren?
So fährt sie fort: Was foderst du?
Warum muß ich zurücke kehren?
Was stört man mich in meiner Ruh?
O Heldinn! deines Geistes Stärke
Und deines Griffels Wunderwerke,
Die haben mich dazu gebracht.
Ich habe dir was vorzutragen,
Es steht bey dir, ob meinen Klagen
Dein Fürspruch bald ein Ende macht.
Du kennst vieleicht bereits die Schöne,
Die dort am Weichselufer singt;
Indem der Wohlklang ihrer Töne
Gewiß bis zu den Schatten dringt.
Du kennest ihres Geistes Gaben,
Die wenig ihres gleichen haben,
Und ihren nett geschnittnen Kiel;
Der oft den Franzen und den Britten
Den Preis der Schreibart abgestritten,
Ja Deutschland schon im Druck gefiel.
Du kennst, in der von Lambert Schriften,
Ihr Buch, vom weiblichen Geschlecht:
Denn selbst in eures Pluto Grüften
Wird solch ein Lob ihr nicht geschwächt.
Dieß Werk, das jeden hier ergetzet,
Hat meine Freundinn übersetzet,
Ja fast noch schöner dargestellt.
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Noch mehr! Sie hat mit süßer Zungen
Auch Rußlands Kaiserinn besungen,
Das Wunder unsrer Oberwelt.
Sie liebt ein kluges Bücherlesen,
Sie schreibt geschickt, und mit Verstand:
Sie haßt ein abgeschmacktes Wesen,
Und kurz, sie ziert ihr Vaterland.
Nur eins, o Heldinn! muß ich klagen,
Sie hat mir etwas abgeschlagen,
Was ich zu ihrem Ruhme bath;
Was keine noch vor ihren Zeiten,
Verstand und Tugend auszubreiten,
Von deutschem Frauenzimmer that.
Es ist für sie nicht schwer zu nennen;
Ihr Kiel vermag weit mehr, denn das:
Sie würd es selber wohl erkennen;
Nur scheuet sie der Thoren Haß.
Es schrecken sie die tollen Rotten,
Die alles lästern und verspotten,
Was einer Schönen Griffel wagt.
O Dacier! strafe dieß Betragen:
Denn so will sie mir das versagen,
Was sie mir heiligst zugesagt.
Wohlan! erfülle mein Verlangen,
Ermuntre meiner Freundinn Kiel;
Du bist ihr rühmlichst vorgegangen,
Vielleicht wird noch dein Lob ihr Ziel.
Erschein ihr, wenn sie schläft und träumet;
Und mache, daß sie nichts versäumet,
Was ihren Ruhm unsterblich macht.
Du kannst ihr nur dein Beyspiel zeigen;
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Und darfst ihr nichts von dem verschweigen,
Was dich so hoch empor gebracht.
Es soll geschehn! du wirst es spüren:
Mercur soll mich nach Preußenland
In deiner Freundinn Zimmer führen:
So sprach die Heldinn, und verschwand.
Victoria! du wirst sie sehen,
Vielleicht ist solches schon geschehen,
Dein Freund hat sie dir zugeschickt.
Drum, hast du mir dein Herz gegeben:
So mach auch, auserwähltes Leben!
Daß solch ein kleiner Wunsch mir glückt!

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TextGrid Repository (2012). Gottsched, Johann Christoph. Gedichte. Gedichte. Oden. An die berühmte Frau Dacier. An die berühmte Frau Dacier. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-E419-D