[74] Auf den Geburts- und Namenstag Seiner Aeltern

Im Jahre 1732 den 7 Sept.


Aeltern, die der Himmel mir
Aus besondrer Gunst verliehen,
Laßt mich itzt aus Dankbegier
Seyten auf die Laute ziehen.
Laßt mich in den fernen Auen,
Wo die kleine Pleiße rauscht,
Auf die fetten Fluren schauen,
Die ich zwar vorlängst vertauscht;
Aber gleichwohl unterdessen
Noch zur Zeit nicht ganz vergessen.
Nein, geliebtes Vaterland!
Die sind noch bey dir am Leben,
Die mir, nächst des Himmels Hand,
Athem, Geist und Leib gegeben;
Die mich aus den dunkeln Schätzen
Der Natur ans Licht gebracht,
Und, mit innigstem Ergetzen,
Nach und nach geschickt gemacht,
Das, was wir die Weisheit nennen,
Gott, die Welt, und mich zu kennen.
Theurer Vater! dessen Huld
Mich von Jugend auf belebet,
Daß die Größe meiner Schuld
Mir noch stets vor Augen schwebet;
Dein erhöhtes Alter dringet
Durch das große Stuffenjahr,
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Und dein graues Haupt bezwinget
Frisch und munter die Gefahr,
Die Gefahr, die mancher scheuet,
Weil sie Sarg und Baare dräuet.
Liebste Mutter, deren Hand
Ich schon lange nicht geküsset,
Nimm dieß treue Demuthpfand,
Womit dich dein Sohn begrüßet.
Da dein Namensfest erschienen,
Das mich schon so oft erfreut:
So verehr ich auch Reginen,
Der ich dieses Lied geweiht;
Um die treuen Kindespflichten
Dir mit Freuden zu entrichten.
Beydes fällt auf einmal ein,
Und verdoppelt mir die Freude;
Sonst besang ich eins allein,
Jetzt verehr ich alle Beide.
Beyde hat das höchste Wesen,
Dessen Wink die Welt regiert,
Mir zu Aeltern auserlesen:
Beyde hat er so geführt,
Daß sich Zeit und Ort gefunden,
Da der Ehstand sie verbunden.
Lehrt mich beyder zarten Sinn,
Musen! lehrt mich Gottscheds Liebe,
Gottscheds, und der Biemanninn,
Als ein Muster reiner Triebe.
Denn ich weis, ihr könnt es wissen,
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Weil ihr selbst sein Rohr benetzt,
Wenn er sonst ans Pindus Flüssen
Oft ein deutsches Lied gesetzt,
Ja ihr wißt von seinen Tönen,
Auf den Jahrstag seiner Schönen.
Ihre Tugend, ihr Verstand,
Ihrer Jugend frische Blüthe,
War das anmuthreiche Band
Für sein redliches Gemüthe.
Sein gelehrt und frommes Wesen
War, was ihrer Brust gefiel:
Ja dieß Paar war auserlesen,
Wie der keuschen Triebe Ziel;
So nach beyder Wunsch und Hoffen
Durch die Hochzeit eingetroffen.
Sey gegrüßt, beliebter Wald!
Grüner Berg, an dessen Grunde
Dieses Paar den Aufenthalt,
Ja sein andres Eden funde.
Sey gegrüßt, o mein Juditten!
Wo ich einst das Licht erblickt.
Wo in frommen Schäferhütten
Mich der Mutter Brust erquickt;
Wo ihr mühsames Erziehen
Mir zu lauter Heil gediehen.
Mir zum Heil, und dir zur Lust,
Werthe! die du meinetwegen
Oft von keiner Ruh gewußt,
Nächte sonder Schlaf gelegen.
Deine Sorgfalt und dein Wachen
Stund der schwachen Kindheit bey,
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Machte mich wohl gar vom Rachen
Des besorgten Todes frey;
Wenn die Seufzer deiner Zungen
Mich dem Himmel abgedrungen.
Und wie rühm ich deinen Fleiß,
Theurer Vater! dein Bestreben,
Mir von allem, was ich weis,
Selbst den ersten Grund zu geben?
Wie der Deutsche, Griech, Lateiner
Und Hebräer schreibt und spricht,
Dieses wies mir sonsten keiner,
Als dein treuster Unterricht;
Den ich, falls ich wechseln sollte,
Gegen nichts vertauschen wollte.
Selbst der Redner edle Kunst
Hast du mir zuerst gewiesen,
Und der Musen süße Gunst
Durch dein Beyspiel angepriesen.
Und so wuchsen mir die Flügel
Unter deiner Vaterzucht,
Bis ich selbst den Königshügel,
Albertinens Sitz, besucht,
Wo, nebst Odoacers Mauren,
Markgraf Albrechts Künste dauren.
Hier empfand ich erst die Kraft
Deiner väterlichen Lehren;
Hier konnt ich die Wissenschaft
In erwünschter Freyheit hören.
Und was war es dir für Freude,
Wenn dein Sohn die Proben wies,
Und im langen Priesterkleide
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Sich mit Beyfall hören ließ;
Ja mit herzlicherm Vergnügen
Die Kathedern oft bestiegen.
Pallas schmückte kaum das Haar
Durch den blauen Hut der Weisen;
Als die deutlichste Gefahr
Mir befahl, davon zu reisen.
Damals gab ich deinen Gassen,
Königsberg! die gute Nacht:
Doch ich kann dich noch nicht hassen,
Nein! ich habe stets gedacht,
Daß, wenn ich kein Leipzig wüßte,
Ich dich noch betrauren müßte.
Hier gedenk ich an den Gram,
Liebsten Aeltern! an die Zähren;
Die mir, als ich Abschied nahm,
Fast den Aufbruch wollten wehren.
Doch der wohlgemeynte Segen
Folgte mir auf jedem Schritt,
Gieng, auf unbekannten Wegen,
Bis ins edle Meißen mit;
Wo ich nun, seit sieben Jahren,
Täglich seine Kraft erfahren.
O wie fröhlich und vergnügt
War die Zeit vor zweyen Jahren,
Als es sich so schön gefügt,
Daß wir an der Weichsel waren!
Danzig sah in seinen Wällen
Sohn und Aeltern ganz entzückt,
Die einander, ohn Verstellen,
Oft an Mund und Brust gedrückt;
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Endlich aber ganz zufrieden
Sich getrennet und geschieden.
Lebt denn glücklich, theure Zwey!
Werdet alt bey guten Tagen,
Machet euch von Sorgen frey,
Laßt euch keinen Kummer nagen.
Euren Söhnen wirds nicht fehlen,
Wenn sie nur in allem Thun
Euch zum Tugendmuster wählen,
Und in Gottes Fügung ruhn;
Der, wie man an euch gespüret,
Stets die Seinen wohl geführet.
Ja! des Vaters Redlichkeit,
Sammt der Mutter Menschenliebe,
Gaben mir, seit langer Zeit,
Ein Exempel edler Triebe.
Müßt ihr aber endlich sterben,
Werthe, folgt ihr der Natur;
O so laßt mich eins nur erben,
Laßt mir eure Tugend nur!
Laß ich diese bey mir wohnen,
Hab ich mehr, als Millionen.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Gottsched, Johann Christoph. Gedichte. Gedichte. Oden. Auf den Geburts- und Namenstag Seiner Aeltern. Auf den Geburts- und Namenstag Seiner Aeltern. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-E423-6