[237] Hessens Kleinode in einer Ode besungen und in einer feyerlichen Versammlung der königl. deutschen Gesellschaft zu Göttingen den 1 Aug. 1753. abgelesen

Ihr Forscher tiefer Dunkelheiten,
Darinn die Klugheit grauer Zeiten
Der Weisheit reines Gold der Thoren Blick entzog;
Ihr Meister in der Kunst zu finden,
Was aus der Alterthümer Gründen
So mancher edle Geist für süße Nahrung sog:
Der, wenn er kaum die Schale brach,
Von lauter Süßigkeit der Götterspeisen sprach.
Erheitert mir die weisen Schatten,
Worinn sich Witz und Wahrheit gatten,
In Stellen, wo Homers erhabner Geist sich wies;
Wann er der Tugend Wuchs zu stärken,
Den Lohn von loberfüllten Werken
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Im selgen Aufenthalt beglückter Inseln pries:
Elysiens erwünschtes Land,
Wo, mit der Sterblichkeit, auch alle Noth verschwand.
Des weisen Greises scharfe Blicke,
O Mensch! sahn tiefer ins Geschicke,
Das deiner Dauer längst der Vorsicht Hand gesteckt;
Als jener Schwarm von Epikuren,
Der dir auf der Verwesung Fluren
So Leib als Geist zugleich mit ewgem Staube deckt;
Und, wenn man ihrem Wahnwitz glaubt,
Dir mit dem letzten Hauch das ganze Daseyn raubt.
Der fernen Zukunft Seligkeiten,
Belobten Seelen vorzudeuten,
War aller Weisheit werth, die sein Gedicht belebt:
Sein Held verwest nicht ganz in Grüften,
Er lebt noch, wo in heitern Lüften
Manch glücklich Eyland sich aus tiefer See erhebt;
Wo ungestört der Lenz regiert,
Und Ewigkeiten durch nur Glück und Lust gebiehrt.
Allein, wo sind, so wird man sprechen,
Auf aller Meere blauen Flächen,
Die Inseln voller Heil, davon der Dichter singt?
Wo ist ein Eyland auszuspüren,
Darauf nur Glück und Lust regieren,
Und wo den Seligen die Tugend Palmen bringt?
Die Palmen, die der Unschuld Stand,
Im stillen Urthelsspruch des innern Richters fand.
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Seit dem Columb in fernen Meeren,
Sich wagte, Länder aufzuklären,
Davon uns Böheim schon das Daseyn kund gemacht:
Seit dem Vespuz die Welt erfunden,
Die bloß ihr Gold ins Joch gebunden,
Traf noch kein spähend Boot dergleichen Eyland an;
Hat noch kein Mast das Land erblickt,
Wo ungekränkte Ruh der Menschen Herz erquickt.
Ists jenes Land vieleicht gewesen,
Davon wir Platons Nachricht lesen,
Das vormals westlich lag, Atlantica genannt;
Das durch die Macht verborgner Gluthen,
Wo nicht im Toben wilder Fluthen,
Sich unsrer Welt entzog und in der See verschwand?
Vieleicht wars Thule, dessen Flur
Und Küsten noch kein Kahn der Sterblichen befuhr.
Umsonst! in Deutschlands hoher Mitten,
Wo Rom und Hermann einst gestritten,
Zeigt sich der Fabel Reich in heller Wahrheit Licht,
In tapfrer Katten sanften Höhen,
Wo Fuld und Werre schiffreich gehen,
Fällt mir ein fruchtbar Thal entzückend ins Gesicht:
Das keiner Stürme Wuth erschreckt,
Weil grüner Berge Wall es vor den Wettern deckt.
O Cassel! Sitz erhabner Prinzen!
Du Kleinod glücklicher Provinzen,
Die Wilhelms Fürstenstab durch holden Wink regiert;
An deines Stromes flachem Rande,
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Stolziert das Bild von jenem Lande,
Wohin der Dichter Witz die Seligen geführt.
Die Aue, die an Lust und Pracht
Auch in der Oberwelt Elyserfelder macht.
Was Oberwelt? Von deinen Höhen,
Wo so viel Fürstenhäuser stehen,
Steig ich, o neue Stadt! hinab ins tiefe Thal,
Hier geh ich, wie der Thrazerdichter,
Zur Wohnung der gerechten Richter,
In deren Sorgfalt Zevs den Urtheilsspruch befahl;
Hier steht, hier steht der Themis Thron!
Hier ist der Tugend Sitz, der Unschuld edler Lohn.
Bey nimmer welken Lorbersträuchen,
Wo Kraft und Wachsthum nie entweichen,
Seh ich den Wunderstamm des hohen Lorbers leicht.
Apollo hat ihn selbst gezogen,
Der Musen Hand zurecht gebogen,
Und zu der Höh gebracht, darinn er Cedern gleicht:
Darunter, wenn die Wolke thaut,
Ihr ganzes Chor nebst ihm, sich völlig sicher schaut.
Nein! nirgends hat er gleiche Brüder!
O Deutschland! nirgends siehst du wieder,
Was dieser Aue Raum für Wunder liefern kann.
Was seh ich? Pomeranzenwälder,
Dergleichen auch Arkaderfelder,
Ja Tempe selber, nie so prächtig aufgethan:
Weil Umfang, Menge, Blüth und Frucht,
Den Wettkampf trotzig heischt, vergebens Streiter sucht.
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Wie weit erstreckt auf beyden Seiten
Der Lustbau seiner Flügel Breiten;
Davon der Aue Grund des Fürsten Blick ergetzt!
Von drey empor gehabnen Zinnen
Läßt sich so mancher Gang gewinnen,
Den hoher Linden Wand in kühle Schatten setzt;
Und deren Länge würdig ist,
Daß sie der Künstler Hand auch durch Feldweges mißt.
Was sieht man da zur Rechten liegen?
Ein Tempel ists, auf dessen Stiegen
Die Ehrfurcht zum Altar der höchsten Gottheit trat!
Doch nein! in kunsterfüllten Wänden,
Daran Geschmack und Marmor blenden,
Erblickt mein Auge nur ein kostbar Fürstenbad;
Daran der Schnitzkunst Witz und Fleiß
Durch Meisterstücke sich empor zu heben weis.
O Carl! hier stralt dein Bild vor allen,
Du, dem der Aufenthalt gefallen,
Du, dessen Heldengeist manch großes Werk gebahr.
Dort steht auf dem entlegnen Berge,
Dein Herkules gleich einem Zwerge,
Der in der Nähe doch Kolossen ähnlich war;
Wo Wasserfall und Grott und Stein,
Das achte Wunderwerk der Erden scheint zu seyn.
Ists nicht die Arbeit jener Riesen,
Die vormals sich geschäfftig wiesen,
Als ihr bemühter Arm des Himmels Burg bestürmt?
Sie trugen Berg auf Berg zusammen;
Bis Jupiter mit Blitz und Flammen,
Den großen Bau zerschlug, den sie empor gethürmt.
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Fürwahr! was hier das Auge schaut,
Hat ein Enceladus von frömmrer Art gebaut.
Wer kann die Wunder alle nennnen,
Die Kennerblicke hier erkennen?
Wer zählt, was Friederich und Wilhelm selbst gethan?
Wie groß der Vater sonst gewesen,
Kann man aus allen Söhnen lesen,
Denn aller Fuß betrat die angewiesne Bahn.
Im Kriege streng, im Frieden mild;
Das, das, o Hessenland! ist deiner Häupter Bild.
Durch Tapferkeit und sanfte Künste
Ward dir der Lobspruch zum Gewinnste,
Womit Europa längst das edle Cassel pries.
Des Fremden Auge wird entzücket,
Wenn er die Wunderkraft erblicket,
Die deiner Herrscher Arm in dessen Schmuck erwies;
Und die auch jüngst durch einen Ruff,
Das stolze Wilhelmsthal, recht wie aus Nichts, erschuff.
Bey Berg und Wald und dunklen Gründen
Lehrt Er den Regen Bäche finden,
Der sonst das ganze Thal zur weiten See gemacht.
Der Landgraf hebt des Erdreichs Lagen,
Läßt Hügel in die Tiefe tragen,
Heißt Grott und Springbrunn seyn, und Bäcken voller Pracht.
Ein wilder Irrgang ziert das Holz,
Und auf des Gartens Schmuck wär auch ein König stolz.
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Was dort in Thraziens Gefilden,
Gott für Geflügel pflegt zu bilden,
Wo Mahomeths Geboth den stolzen Tulband lenkt.
Was Asien auf seinen Höhen,
Sieht schwimmend durch die Fluthen gehen,
Das hat der Landgraf hier auf seinen Teich gesenkt.
Und China selbst sah nie so schön,
Als längst dem Ufer hin, Chineserhütten stehn.
Nun steigt aus dem bewährten Grunde,
Mit jedem Tag und jeder Stunde,
Das neue Fürstenhaus recht sichtbarlich empor.
Die Königstochter edler Britten,
Maria, hold an Geist und Sitten,
Setzt selbst den ersten Stein, weil Wilhelm sie erkohr.
In kurzem zeigt sich der Palast,
Davon der bloße Riß schon Wunder in sich faßt.
Vergöttert nur mit Witz und Schriften,
Was Ludewig vermocht zu stiften,
Ihr Schmäuchler zu Paris, die Stolz und Sold erhob;
Hier regt ein deutscher Fürst die Flügel,
Zwingt die Natur, versetzet Hügel,
Und bläht sich gleichwohl nicht auf ein erkauftes Lob.
Die freye Muse nur gesteht,
Daß solch ein Haupt den Ruhm Germaniens erhöht.
Was Rubens Hand in Schildereyen,
Der Kenner Auge zu erfreuen,
Von redender Natur für Meisterstücke ließ;
Was Rembrandt und van Dyck ersonnen;
Die oft den Preis der Kunst gewonnen,
Wenn selbst Apelles sie wahrhafte Brüder hieß:
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Das liebt der Landgraf allzumal,
Dem widmet sein Geschmack den neuvollführten Saal.
Was macht Sein Erbprinz? Auf den Spuren
So großer Muster, schmückt er Fluren;
Pflanzt Gärten neuer Art, die Deutschland nie gekannt:
Ein jäher Berg wird ihm zur Fläche:
Er stärkt des rauhen Bodens Schwäche,
Zeugt Hayne wilder Zucht, so klug als Engelland.
Sein Irrgang zeiget Dädals Spur,
Und mitten in der Kunst herrscht gleichwohl die Natur.
Dort, wo aus den verborgnen Schätzen,
Der Menschen Kräfte zu ersetzen,
Der Abgrund tiefer Kluft ein heilsam Wasser quillt:
In Geismar zeigt sich Wilhelms Größe!
Da sieht man andrer Bäder Blöße,
Wenn Seine Sorgfalt es mit Gästen überfüllt:
Indem den Ort, der Heil gebracht,
Des Fürsten Anstalt reich an Lust und Anmuth macht.
Was seh ich? Sind es Thuillerien,
Wo tausend dichte Linden blühen,
Und Gänge sonder Schluß den schärfsten Blick erfreun?
Sind es Versaillens Lustgestade?
O nein! auch Cassels Esplanade
Hat ihres gleichen nicht, und muß ein Wunder seyn.
Und gieng ihr nicht die Aue vor,
Was gliche wohl dem Raum um Cassels schönstes Thor?
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George! Schmuck von Hessens Zweigen,
Könnt ich Geschmack und Anstalt zeigen,
Womit so Dein Pallast, als edler Garten prangt!
Nach Thaten, so die Welt verehret,
Hast Du die Ruh, die Dir gehöret,
Als zweyter Fabius, in diesem Sitz erlangt:
Wo Dich ein kluges Buch ergetzt,
Wenn Dich das Spiel der Welt oft in Verwundrung setzt.
Und du, o Neustadt! deren Gassen
Sich schöner kaum gedenken lassen,
Du bestes Musterbild von neuer Städte Bau!
Kann eine Schnur wohl gleicher gehen,
Als Häuser und Palläste stehen?
Sogar dein Tempel folgt dem Ebenmaaß genau.
Der Straßen Durchschnitt stellt ihn dar,
Und hoher Linden Kreis umschließt den Vorhoff gar.
Turin und Manheim mögen streiten,
Ob ihrer Baukunst Seltenheiten
Dieß Kleinod Hessens nicht, der Mängel wegen, schilt?
An Größe kann Berlin zwar siegen;
An Ordnung muß es unterliegen:
Weil Schnur und Winkelmaaß hier sonder Ausnahm gilt;
Und seiner lichten Straßen Pracht,
Kein eingeschränkter Wall das Wachsthum schwierig macht.
Ihr Musen! soll ich weiter singen?
Laßt künftig mir ein Lied gelingen;
Daß Wilhelms Sorgfalt euch und eure Tempel schützt.
Sein Büchersaal, und hundert Stücke
Von Kunst und Witz, ziehn eure Blicke
Schon längst auf das Gebäu, wo Carl euch sonst erhitzt.
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Hier wird einst, stimmt Sein Folger ein,
Von jeder Wissenschaft ein ewger Wohnplatz seyn.
Gesellschaft! die du bey den Siegen
Des rächenden Georgs gestiegen,
Der so gerecht als klug Europens Wage lenkt;
Versammlung, reich an edlen Geistern,
Laß dich die rege Glut bemeistern,
Die Dank und Ehrfurcht längst in deine Brust gesenkt;
Und stimme solche Lieder an,
Daß selbst der Britte sie nicht schöner opfern kann.
Georg ist groß in Krieg und Frieden;
Und unsrer Zeit von Gott beschieden,
Der deutschen Freyheit Schutz, der Seinen Lust zu seyn.
Bey Detting kann er Lorbern brechen,
Der Feinde Wuth und Hochmuth schwächen;
Zu Hause läßt Sein Arm den Musen Tempel weihn.
O! dieß besinge, theures Chor;
Und stell Ihn später Zeit zum Heldenmuster vor.
Zwar Klio thuts schon in Geschichten,
Folg ihr in feurigen Gedichten;
Davon der laute Ton in alle Gränzen dringt.
Georg hat dich mit sich erhoben;
Und diese That nach Werth zu loben,
Ist ein erhabnes Werk, das Dichtern Ehre bringt.
Auf! Seine Großmuth ganz allein,
Muß künftighin der Stoff zu deinen Liedern seyn!

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TextGrid Repository (2012). Gottsched, Johann Christoph. Gedichte. Gedichte. Oden. Hessens Kleinode. Hessens Kleinode. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-E431-6