[125] Ueber den Tod einer Ehegattinn

Im Namen ihres Mannes.


Verlier ich dich aus meinen Armen?
Entweichst du mir, mein andres Ich?
Und trägst du denn, ich bitte dich,
Mit deinem Gatten kein Erbarmen?
Ach liebste Gattinn! andres Herz!
Getreuste Freundinn! edle Seele!
Du stirbst, und deine Todtenhöhle
Quält micht durch unerhörten Schmerz.
Du stirbst! wie kann hier Gram und Pein
Zu heftig und zu zärtlich seyn?
O Muster ungemeiner Frauen,
An Tugend, Anmuth und Verstand!
An der ich das beysammen fand,
Was wir so selten einzeln schauen.
Du stirbst, und machst mich so betrübt!
Mich, dem du stets so werth geblieben,
Mich, der ich mit den reinsten Trieben
Dich mehr, als alle Welt, geliebt;
Du stirbst! ists möglich, daß dein Mann
Dich sterben sehn und leben kann?
Wo sind sie doch, die schönen Zeiten,
Da mir der – – – –
Auch deinetwegen wohlgefiel,
Weil deine Blicke mich erfreuten?
Wie schön war um dein zehntes Jahr
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Schon deiner Kindheit muntres Wesen?
Da hatt ich dich mir schon erlesen,
Als ich um deinen Vater war,
Und so viel Rath in seiner Hand,
Als Anmuth an dir selber fand.
Du wuchsest auf an Geist und Gliedern,
Und meine Liebe wuchs zugleich.
Ihr süßen Stunden, könnt ich euch
Die unschuldsvolle Lust erwiedern!
Acht Jahre hatt ich sie gekannt,
Geliebt und inniglich verehret;
Als ich ihr keusches Ja gehöret,
Wodurch ihr Herz sich mir verband.
O daß ein so beglückter Tag
Doch nicht zweymal erscheinen mag!
Doch wie vergeht sich Gram und Sehnen?
Wie? weis ich nicht, daß unser Trieb
Neun Jahre lang gleich zärtlich blieb?
Itzt wirkt er mir die ersten Thränen.
Nein, unsre Liebe nahm nicht ab.
In Freud und Leid, in Lust und Plage
Gab uns der Ehstand heitre Tage;
Nur itzt entseelt mich fast ihr Grab;
Nur itzt, seit dem sie Abschied nahm,
Vergeh ich fast vor Weh und Gram.
Nie hab ich einen Sinn gesehen,
Der das so wenig hochgeschätzt,
Was sonst ein weiblich Herz ergetzt,
Als von der Seligsten geschehen.
Nie hab ich einen Geist gespürt,
Der weniger nach Hoheit strebte,
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Der minder an der Wollust klebte,
Den weniger der Geiz gerührt,
Als den, der Tugend und Verstand
In meiner Gattinn Brust verband.
Wie angenehm war nicht im Schreiben,
Ihr ausgelernter deutscher Kiel,
Der auch den Kennern wohlgefiel,
Die selbst der Schreibart Regeln treiben.
Wie reich war nicht ihr Geist geschmückt!
Denn weil ein sinnreich Bücherlesen
Vorlängst ihr Zeitvertreib gewesen:
So ward er fähig und geschickt;
So nahm ihr Witz und kluger Scherz,
Fast jedem, der sie sprach, das Herz.
An statt der Perlen und Juwelen,
Der Nahrung stolzer Eitelkeit,
Gefiel ihr nur ein reinlich Kleid,
Der Schmuck wahrhaftig edler Seelen.
Oft lachte sie die Einfalt aus,
Die sich, um solcher Zierde willen,
Mit Stolz und Hochmuth pflegt zu füllen,
Als wär ihr Leib ein Götterhaus;
Als würd er durch die Phantasey
Dereinst von der Verwesung frey.
So drang ihr Blick, durch Dampf und Schatten,
Bis in den Kern der Wahrheit ein;
So reizte sie kein falscher Schein,
Mit dem sich schwache Seelen gatten.
Sie kroch nicht mit der blöden Zunft
In schnöder Thorheit, Wust und Staube:
Drum war ihr aufgeklärter Glaube
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Die Frucht gereinigter Vernunft;
So daß ihr Wesen ganz und gar
Vom Aberglauben lauter war.
Was sag ich von den holden Sitten?
Die waren still und fromm und rein,
Und hatten mir fast ganz allein
Den Geist entzückt, das Herz bestritten.
Was sag ich von der Mildigkeit
Und allgemeinen Menschenliebe?
Durch deren unverstellte Triebe
Sie manchen in der Noth erfreut;
Und die der Wohlthat ganze Frucht
In ihres Nächsten Heil gesucht.
Und wie voll Großmuth war ihr Herze,
Als ihr der stärkste Feind gedroht!
Auch in der letzten Todesnoth
Erschrack ihr Muth vor keinem Schmerze.
O Abschied voller Zärtlichkeit!
O Wehmuth heißer Liebesthränen!
O dörft ich euer nicht erwähnen!
So mehrt ich selber nicht mein Leid;
Das Leid, so mich nur schärfer kränkt,
Je mehr mein Sinn zurücke denkt.
O hätt ich nur ihr letztes Ende
Mit eignen Augen angesehn!
Wer weis, ob ich, wenn dieß geschehn,
Den Gram nicht leidlicher empfände?
Ich hätt ihr noch den welken Mund
Mit meinen Lippen zugedrücket:
Dieß hätte mich vielleicht erquicket;
Dieß machte mich vielleicht gesund.
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Doch eitle Hoffnung! Nein, ach nein!
Ich würde nur noch schwächer seyn.
Gerechter Himmel! darf ich fragen,
Warum doch deine Vaterhand,
Die meine Wunden sonst verband,
Mich selber itzt so hart geschlagen?
Kam unser Bündniß nicht von dir?
War ichs nicht werth, so viele Gaben,
Als sie besaß, geliebt zu haben;
Warum verbandst du mich mit ihr?
Und war ichs werth, o harter Schluß!
Wie kömmt es, daß sie sterben muß?
Wo komm ich hin? Mein Geist wird irre!
Ein Thränenstrom ergießet sich;
Der Jammer überwältigt mich,
So, daß ich auch ihr Lob verwirre.
Ach ließe mich des Kummers Macht
Die Ordnung in mein Aechzen bringen,
Die ihr Verstand in allen Dingen
Recht wundernswürdig angebracht:
So müßte wahrlich auch ein Stein
Bey diesem Reim empfindlich seyn.
Erbarmt euch doch, ihr meine Freunde!
Erbarmt euch mein in dieser Noth!
Und wünscht dergleichen herben Tod
Auch nicht aus Rachgier eurem Feinde.
Zwar weis ichs nicht, ob überall
Die Trennung gleichen Schmerz erwecket;
Doch spür ich wohl, was mich erschrecket;
Doch fühl ich meinen Unglücksfall,
Und wünsche das, was mir geschicht,
Auch meinem ärgsten Feinde nicht.
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Hier sitz ich nun in meinem Leide,
Verlassen, einsam und betrübt,
Vermisse stets, was ich geliebt,
Bedaure meiner Augen Weide.
Die zarten Pfänder unsrer Eh
Vergrößern mir die tiefen Wunden,
So, daß ich oft zu halben Stunden
Vor Schwermuth unbeweglich steh,
Und nicht vernehme, was man sagt,
Wie dieses hier, dort jenes klagt.
Ach! denk ich, ihr beraubten Weysen!
So sehr ihr zu beklagen seyd,
So macht die Unempfindlichkeit,
Daß ich euch selbst muß glücklich preisen.
Ihr könnt, was ihr so früh verliert,
Zum Theil nur halb, theils gar nicht wissen:
Ich weis, was mir der Tod entrissen,
Ich hab es leider! sehr gespürt;
Und seh es für ein Wunder an,
Daß ich es überleben kann.
Drum ruhe sanft, o meine Fromme,
Und habe Dank für deine Treu!
Dein Bildniß wohnt mir ewig bey,
Bis ich in kurzem zu dir komme.
Herr, der du mir dieß Leid geschickt.
Was bin ich hier viel länger nütze?
Drum bringe mich zu deinem Sitze,
Wo meine Freundinn dich erblickt,
Und laß nach überstandner Pein,
Uns ungeschieden selig seyn.

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TextGrid Repository (2012). Gottsched, Johann Christoph. Gedichte. Gedichte. Oden. Ueber den Tod einer Ehegattinn. Ueber den Tod einer Ehegattinn. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-E48E-5