[376] (Elegie)

Eines Sohnes an seine Bekümmerte Frau Mutter, über das Absterben Ihres Eheliebsten

1727.


I.f.N.


Bekümmerte Mama! dafern, vor Schmerz und Thränen,
Ihr trübes Auge noch ein Schreiben lesen kann:
So unterbreche sie ihr Aechzen, Flehn und Stöhnen,
Und schaue dieses Blatt mit muntern Blicken an.
Es kömmt von ihrem Sohn, durch mehr als sechzig Meilen,
Aus Leipzig, welches ihn zu seinen Musen zählt;
Und soll ihr itzt von ihm den Trost und Rath ertheilen,
Daran es ihm doch selbst in seinem Kummer fehlt.
Ihr Schatz, mein Vater stirbt! O Zufall, reich an Schmerzen!
Sie klagt; mein Auge thränt, und mein Geschwister weint.
Des Höchsten harter Schluß greift allen nach dem Herzen,
Und rührt uns heftiger, als mancher denkt und meynt.
Sie selbst bedauert den, den die geweihten Bande,
Den ihr der Ehebund in Arm und Herz geschränkt;
An dessen Liebe sie, auch itzt im Wittwenstande,
Mit unaufhörlicher und zarter Wehmuth denkt.
Es war das achte Jahr, seit dem sie sich verbunden,
Seit dem sie ihm ihr Herz, seit er sich ihr geweiht:
Und dieser Jahre Zahl glich einer Zahl von Stunden,
So kurz, so angenehm bedünkte sie die Zeit.
[377]
Ein Wille wohnte nur in zwo verknüpften Seelen,
Ein einzig Herz schien nur in beyder Brust zu seyn:
Sie konnten beyderseits einander nichts verhölen,
Und so traf beyder Wunsch in allen Stücken ein.
Ich selber, Theureste, ich selber weis zu zeugen,
Was ihre Gütigkeit, was ihre Huld gethan:
Denn alles Ihrige ward gleichsam unser eigen,
So willig wandte sies zu unserm Besten an.
O! wie viel tausend Dank muß ich ihr schuldig bleiben,
Den meine Schwachheit ihr nicht zu entrichten weis.
Dieß Blatt ist viel zu klein, denselben zu beschreiben,
Denn keine kurze Schrift faßt ihrer Güte Preis.
Dieß ist der beste Trost, da uns der Herr betrübet,
Und durch des Vaters Tod zu armen Weysen macht;
Daß seine Weisheit uns zwar schläget, doch auch liebet,
Da er uns, sie, Mama, zur Mutter zugedacht.
Sie selber wird sich schon getrost zu fassen wissen,
Es ist das erste nicht, daß sie der Fall betrifft;
Ihr Ehband wird ihr schon das andremal zerrissen,
Drum kennt ihr Glaube schon der Schwermuth Gegengift.
Sie weis sich in Geduld und Gottes Rath zu schicken,
Wenn seine Hand gleich droht, so hält sie ruhig still;
Und schreckt sein Auge gleich mit zornerfüllten Blicken;
Ist sie doch überzeugt, daß er ihr Bestes will.
Ich selber glaube das, doch Schmerzen und Betrüben
Erweckt der Zuversicht oft Klein- und Zweifelmuth,
Wer wird mich, fragt mein Herz, so, wie mein Vater, lieben?
Wer ist in aller Welt, der mir was Gutes thut?
Sie, wertheste Mama! Sie einzig ist die Stütze,
Darauf, nächst Gottes Huld, itzt unser Wohl beruht:
Denn trifft uns itzo gleich ein Stral entbrannter Blitze,
Macht ihre Sorgfalt doch den meisten Schaden gut.
[378]
Der Höchste schütze sie noch lange vor dem Grabe,
Es fliehe sie der Tod, sie werde lebenssatt:
Bis sie der Himmel einst für alle Tugend labe,
Die sie allhier an uns, und sonst erwiesen hat.
Wir werden sie indeß als treue Kinder ehren,
Da sie so mütterlich für unser Wohl gewacht;
Und niemals in der Welt was liebers sehn und hören,
Als wenn der Herr ihr Haus zum Segenshause macht.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Gottsched, Johann Christoph. Gedichte. Gedichte. Elegien. Eines Sohnes an seine Bekümmerte Frau Mutter. Eines Sohnes an seine Bekümmerte Frau Mutter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-E4C3-B