[58] An Jungfer L.A.V. Kulmus

1731 den 11ten April.


Schönste Muse deiner Zeit,
Unvergleichliche Louise!
Hilf doch meiner Schüchternheit,
Die dich itzt so gerne priese,
Lehre du mich selber dichten,
Hilf mein schlechtes Rohr erhöhn;
Denn dein Lob so rein und schön,
Als du singest, einzurichten,
Muß mein Lied so ungemein,
Als dein ganzes Wesen seyn.
Wahrlich! ein so edler Geist
Wird nicht überall gefunden,
Der, was Witz und Tugend heißt,
Durch ein festes Band verbunden.
[59]
Selbst bey Männern sieht man selten
Solcher Güter Zahl vereint;
Als in deinem Thun erscheint;
Wo sie wahrlich zwiefach gelten:
Weil man niemals mehr Verstand
Bey so zarter Jugend fand.
Kann doch weder Stolz noch Geiz
In dein starkes Herze dringen,
Noch der Eitelkeiten Reiz
Deine große Seele zwingen!
Deiner Mutter Witz und Tugend,
Einsicht und Belesenheit
Führt dich zur Gelehrsamkeit,
Und vergöttert deine Jugend;
Welche so schon, wie du bist,
Englisch mehr, als menschlich ist.
Pallas selbst ist nie so fern
In der Künste Feld gedrungen,
Als es dir, der Weisheit Kern
Gründlich einzusehn, gelungen.
So viel Frauenzimmerspiele
Man bisher bey uns vernahm,
Klingen schlecht, ja matt und lahm
Gegen deinem Dichterkiele;
Welcher nicht nur sie verlacht,
Nein! auch Männer neidisch macht.
Künftig darf sich dein Geschlecht
Seiner Schwachheit nicht mehr schämen;
Und der Dichtkunst Meisterrecht
Gleich den stärksten Dichtern nehmen.
Adelgunde wird mit Ruhme
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Unsers Preußens Sappho seyn:
Ja dieß Lob ist dir zu klein,
Deutschland trotzt dem Alterthume;
Denn du fängst viel stärker an,
Als es Sappho enden kann.
Wird die kluge Lambert nur
Nächst, durch dich, auch deutsch gelesen,
Kömmt man leichtlich auf die Spur,
Welch ein Geist dabey gewesen.
Doch wer weis, obs jemand glaubet?
Der, wenn ihn die Schrift ergetzt,
Dich, die du sie übersetzt,
Des verdienten Ruhms beraubet:
Weil er solcher Schreibart Preis
Noch von keiner Schönen weis.
Dieses Geistes seltne Pracht,
Dieser edlen Seele Gaben,
Würden mich entzückt gemacht,
Würden mich bezaubert haben;
Hätt ich gleich am Weichselstrande
Deine Schönheit nie erblickt:
Denn dadurch ist mirs geglückt,
Daß ich meinem Vaterlande;
Welch ein herrlicher Gewinn!
Nun nicht mehr gehäßig bin.
Selig seyst du, süßes Licht!
Das du sie zur Welt gebohren!
O was hätte Deutschland nicht,
Ohne dich an ihr verlohren!
Seyd gegrüßt, ihr schönen Stunden!
Eurer Morgenröthe Schein
[61]
Soll mein liebster Anblick seyn,
Der sich jemals eingefunden:
Kommt noch oft, und stellt sie mir,
So wie jüngst, im Traume für.
Lies dieß Blatt, Victoria,
Als ein treues Ehrfurchtszeichen.
O wär ich dir itzt so nah!
Was könnt mir an Freude gleichen;
Doch der Himmel kann es fügen,
Daß mein Wunsch sich bald erfüllt:
Und indessen soll dein Bild
In Gedanken mich vergnügen;
Bis ich, (wenns doch bald geschäh!)
Dich persönlich wieder seh.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Gottsched, Johann Christoph. Gedichte. Gedichte. Oden. An Jungfer L.A.V. Kulmus. An Jungfer L.A.V. Kulmus. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-E4D2-B