In trüber Stunde

Frost und Nacht, wohin ich richte
Meine besten Lichtgedanken!
Wie ich sinne, wie ich dichte,
Nicht die Mitwelt will mirs danken.
Hab mein Bestes ihr gegeben,
Zwar nicht reichlich, stets doch Reines,
Reinsten Teil von meinem Leben,
Wohl nicht Schmuck voll falschen Scheines.
Kurze Zeit habt ihr verstanden,
Was die Götter mir erzählten;
Und ich galt in unsern Landen
Zu den hohen Auserwählten.
Doch ihr habt mich dann vergessen –
Und vergessen eure Würde:
Und – wenn nicht mein Wort vermessen:
Ward mein Geist euch eine Bürde.
Seis! – ich opfre meinen Göttern –
Opfert ihr – wie lang? – den Götzen!
Zukunft wird mit andern Lettern
Euch und mir das Urteil setzen!
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Zwar, wenn tot einst, werd ich leben,
Und ihr flechtet mir noch Kränze,
Denkt ihr auch nicht schmerzlich eben
Meiner trüben Lebenslenze.
Doch – was klag ich? – wo im Innern
Heilge Stimmen stets erklangen!
Ists doch – zwar kein Trost-Erinnern! –
Manchem Bessern so ergangen!

Notes
Entstanden 1855.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Grillparzer, Franz. In trüber Stunde. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-EC67-0