Deutsche Ansprüche

Es waren, wie euch wohl bekannt,
Der frommen Männer sieben,
Die in die Wüste sich verbannt
Und schlafend dort geblieben.
So schliefen sie fünfhundert Jahr
Und träumten dies und jenes:
Vom Nichts, von Geist, von Schein und Wahr
Viel Gutes und viel Schönes.
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Zuletzt jedoch der Schlaf zerrann,
Sie standen auf den Beinen,
Und jedem kam die Sehnsucht an
Nach Hause, zu den Seinen.
Sie gingen den bekannten Pfad,
Nur schien er sehr verändert,
Er lief wie früher fort gerad,
Doch neu war er umrändert.
Wo sonst ein Baum, da stand ein Haus,
Statt Wiesen waren Gärten,
Das schien denn doch ein wenig kraus
Den wandernden Gefährten.
Und nun die Menschen vollends gar
In sonderbaren Trachten,
Rückgebend jenes: sonderbar,
Da sie der Wandrer lachten.
So kamen sie zur Stadt zuletzt,
Zum Haus, das sonst das ihre;
Von Fremden fanden sies besetzt,
Sie weisend von der Türe.
Da eilen sie zur Obrigkeit
Und klagen, schmähen, weinen.
Der Richter, sonst zum Schutz bereit,
Versteht kaum, was sie meinen.
Allmählich kommt er doch ans Ziel
Der stammelnden Erklärung,
Da spricht er denn vom Rechte viel,
Vor allem von Verjährung.
Er meint: es heilt wohl keine Macht
Die Schläge, die euch trafen,
Denn man verliert, zu spät erwacht,
Was man so lang verschlafen.

Notes
Entstanden 1846.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Grillparzer, Franz. Deutsche Ansprüche. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-F6E6-1