Entscheidung

7. August 1479.


Ein Nordland gibt's, da dämmert fahl Zwielicht mondenlang,
Für eine Nacht zu helle, für Tag zu düster und bang,
Und dennoch ist's all' Beides! So auch mit diesem Krieg,
Geschlagen beide Heere, und keines hat den Sieg.
Und wollte jeden Gefallenen man legen in einen Sarg,
Würd' im Ardennerwalde fürwahr das Holz zu karg;
Die Thränen, die da flossen, wohl geben einen See,
In seine Fluthen tauchte trostloses Liebesweh.
Seht ihr die blanken Mauern, drauf sauset Blitz auf Blitz?
Das sind Terouanne's Wälle und Maxens Donnergeschütz.
Was flirrt in blauer Ferne, wie Waffenglanz erregt?
Das sind des Ludwig Schaaren von Crevecoeur bewegt.
Es dehnt sich eine Ebne, wie ein See so weit und glatt,
Von Terouanne's Wällen bis gegen Guinegat',
Da reitet Max tiefsinnend, seine Auge schweift ringsum:
»Ein herrlich Feld zum Kampfe, weit g'nug für Schmach und Ruhm!
Fast dünk' ein Todtengräber ich mir zu dieser Frist;
Denn vor dem Kampf der Feldherr, wenn er das Schlachtfeld mißt,
Und jener, wenn er schaufelt, sie denken alle zwei:
Muß sehn, ob Raum zur Gnüge für meine Todten sei!
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Doch seht dort Frankreichs Banner sich ferne glänzend regen,
Auf, laßt zum Aufbruch blasen, und rasch dem Feind entgegen!
Was sitzen wir vor den Wällen, verpuppt in träger Schanz',
Indeß dort frohe Boten uns nahn mit dem Ehrenkranz?«
Max sinkt auf seine Kniee, das ganze Heer ihm nach,
Auf tausend Panzern goldig der Sonne Gluth sich brach,
Wie'n Strahl des Glaubens, der aufwärts aus Menschenherzen fährt,
Wie 'n Strahl der Gnade, der nieder aus Gottes Aug' sich kehrt.
Drommetengeschmetter und Feldruf! Drauf Heer an Heeresmacht!
Zusammenprallt's, wie stürzend sich Berg an Berg zerkracht,
Der blasse Tod rief Vivat! und in den Lüften sang
Ein Chor von schwarzen Raben: Viel Müh', schön Dank, schön Dank!
Hier fliegender Kugeln Sausen, dort donnernder Mörser Gedröhn,
Hier trunkner Sieger Jubel, dort sterbender Krieger Gestöhn,
Zähnknirschen dort und Fluchen, hier brechender Lippen Gebet, –
Dort Crevecoeur: vorwärts Memmen! hier Max: steht, Brüder, steht!
Dann ward es wieder stiller, nur Schwerter hört man mähn,
Rings Staubgewölk, und Niemand kann, wen er trifft, ersehn;
Ein Windstoß nur zeigt Einem die Leichen, die er geballt,
Doch auch dem Feind des Siegers, wo dessen Herzblut wallt.
Ha, drüben wankt's und taumelt's, gelöst sind Frankreichs Reihn,
Schon ruft der Deutsche jauchzend: das Schlachtgefild ist mein!
Hui, Frankenmacht ist zerstoben, zersprengt die mächt'ge Schaar,
Und mit der gepflückten Lilie steigt auf zur Sonne der Aar!
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Doch Max denkt, als er Abends durchs wüste Schlachtfeld reitet:
»Ist nicht die Schlacht ein Wetter, das tödtend vorüberschreitet?
Zwei Wolken prallen zusammen, Blitz zuckt und Donner schnaubt,
Drauf rasselt Hagel nieder, das Feld steht saatberaubt.
Sei dann gereint, verklärt auch des Aethers frisches Blau,
Erschimmre rings im Laube der junge Demantenthau,
Glänz' auch der Friedensbogen in buntem Farbenlicht,
Belebt er doch die Aehren, die sturmzerknickten nicht.«

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TextGrid Repository (2012). Grün, Anastasius. Entscheidung. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-0C7B-F