[58] Vorboten
März 1848.
Sinne denn selbst, o König, auf Rath und hör ihn von andern,
Nicht wird dir verwerflich das Wort sein, welches ich rede.
Ilias.
In kühler Grotte sitzt Merlin und lebt ein selig Lauschen,
Er horcht dem Quell, den Wäldern ab ihr süßgeheimstes Rauschen;
Jetzt bebt er auf: ein grauses Wort vertraut die Erd' ihm leise,
Die Vöglein zwitschern's ängstlich fort, aufflatternd irr im Kreise.
Der Blumen Wange färbt es bleich, die tief ins Herz erschrocken,
Der Wolf schleicht zitternd aus der Schluft, die Quellen wimmernd stocken;
Da stürzt Merlin zum Königssaal verstört, ein finstres Bildniß,
Hoffähig machte die Gefahr sein rauhes Kleid der Wildniß.
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Er schleudert in den Wonnebann der Flöten und der Geigen
Das rasche Wort: »Entflieh' wer kann!« – Das löst und sprengt den Reigen;
Die Gäste flohn, jetzt bebt der Grund, mit Krachen stürzt die Halle;
Oft redet auch der treuste Mund mit rauh unsüßem Schalle.
So fliegt, aus grüner Siedelei zur Kaiserburg zu klimmen,
Das waldesfrohe Lied herbei, gewarnt von leisen Stimmen,
Und spricht: »Die Zeichen trügen nicht, vor Abend wird's gewittern,
Bewahre, Herr, dein Haus und dich, wenn Säul' und Balken zittern!«
Vom Söller überblickt der Fürst sein Heer in grünen Reisern,
Der Kampflegionen Donnergang, die Männer schön und eisern,
Der Glieder festgeschlossnen Keil zu ehrnem Guß gequollen,
Wie die Ideen der neuen Zeit, die sie besiegen sollen.
Ein schönes Heer, in starkes Heer, Geschwader an Geschwadern!
Es beben dem Karthaunenzug verweichlicht rings die Quadern;
Stahlblank und schillernd ringelt sich die erzgeschuppte Schlange
Vom Dniester bis zum fernen Po ruckweis' in festem Gange.
Gleich schwarzen Schwänen zieht im Strom der Schiffe dunkle Kette,
Wie sträubendes Gefieder starrt der Bord voll Bajonette,
Der Chor der Schlacht schwebt auf der Fluth in vollem Stimmenklange;
Die Schwäne singen! Manches Ohr lauscht eignem Grabgesange.
Dort braust im Eisengleis' heran der Wall von Waffenschaaren,
Jetzt tobt's dahin, jetzt dröhnt's vorbei, ist meilenweit entfahren;
Das war ein guter Stoß des Aars, ein prächtig Flügelrühren,
Des Adlers Kralle scheint gesund und weiß das Schwert zu führen.
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Doch ist auch so gesund das Herz, der Lenker seiner Flüge?
Noch trägt es treu dein Wappenschild und deine Namenszüge,
Doch frage, Herr, uns Mann für Mann der großen Volksgemeinde:
Ziehn alle Herzen mit dem Heer? Steht manches nicht beim Feinde?
O frag' dein Heer! Der Fahne folgt manch zweifelnd Herz mit Leide,
Treu blieb die Eisenhand allein, die dir geschworen Eide;
Verkrüppeln muß des Ruhmes Baum, besprengt von Bürgerblute,
Den schwertgewohnten Mannesarm entnervt die Schergenruthe.
Herr, du bist schwach in deiner Kraft, wehrlos in deinen Waffen! –
Dort steht ein Greis, den will sein Geist in ferne Zeit entraffen,
Er sah ein Heer einst, das gesprengt, feldflüchtig und geschlagen
Doch stärker blieb als dieses ist in seines Glanzes Tagen.
Im Jahr des Unglücks wars und Ruhms! Dein Vater stand am Fenster
Vorüber zog es bleich und stumm, zähnknirschende Gespenster,
Gedämpften Trommelschlags, das Haupt gebeugt, in düstern Rotten,
Barfuß, in Fetzen des Gewands, der Krone Sanscülotten.
Ach, ohne Fahnen kehrten sie, zu denen sie geschworen,
Die fern zum Invalidendom sich irren Flugs verloren;
Tieftraurig Volk und Kriegerschaar und wer es nur sah wallen,
In seiner Burg der Kaiser war der traurigste von allen.
Doch groß und stark war Volk und Heer, wie Eines ehrnen Gußes,
Eins durch das Elend, Eines auch im Lodern des Entschlußes!
Das Volksherz schlug in Kaisersbrust, des Kaisers Herz im Volke,
Elektrisch an den Schwertern brach gelöst die Donnerwolke.
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So sprich auch du das rechte Wort, das alle Stämme bündet,
Das längst auf allen Lippen bebt, dir alle Herzen zündet;
Gedörn umrankt Josephs Panier, das deinem großen Ahne
Im Tod entsank, doch Oesterreichs Schutzgeist bewacht die Fahne.
Erfaß', o Herr, umschling' den Schaft mit neuen frischen Bändern,
Schreib auf das Banner: »Geist ist Kraft!« Schwing's über allen Ländern!
In Eins zum Volke schmilzt dein Heer im Schmuck der grünen Reiser,
Dann bist, wie nie und nimmermehr, du unser starker Kaiser!
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- TextGrid Repository (2012). Grün, Anastasius. Gedichte. In der Veranda. Zeitklänge. Vorboten. 1. [In kühler Grotte sitzt Merlin und lebt ein selig Lauschen]. 1. [In kühler Grotte sitzt Merlin und lebt ein selig Lauschen]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-0EB1-5