[10] Im Schlitten

1.

Durch das Schneefeld schießt mein Schlitten
Im Geschmeid des Tigerfells,
Raschen Flugs vorüber glitten
Burg und Weiler, Busch und Fels.
Lenz in Blumen, Herbst in Reben,
Sommer du im Garbenkranz,
Was ist eure Schönheit neben
Einem Wintertag in Glanz!
Wie versinkt die bunte Kleinheit
Vor so schlicht erhabner Pracht!
Er vermählt das Weiß der Reinheit
Mit dem Hermelin der Macht.
Seine Lagerzelte glänzen,
Die Gebirge, weit im Kreis;
Bis an seines Reiches Grenzen
Schimmert nur dieß stolze Weiß.
[11]
Wald und Strauch in Silberflocken,
Welch ein Hofstaat reich und steif!
Weiße Schleier auf den Locken
Und im Haar des Puders Reif;
Zarte Flöre, krause Spitzen
Schmücken zierlich das Gewand,
Spangen flimmern, Nadeln blitzen,
Funkelnd sprüht der Diamant.
Wintersonn' in eis'ger Klarheit
Streut aufs All ihr kaltes Licht,
Rein wie eine goldne Wahrheit,
Glänzend zwar, doch wärmend nicht.
Sorglich hält die Feuerbolzen
Noch im Köcher sie bewacht,
Daß nicht allzuschnell geschmolzen
Winters Herrlichkeit und Macht.
Sein Gesetz ist Ruhn und Schweigen,
Das er eisern strenge hält,
Und kein Vogel pfeift in Zweigen
Und kein Pflüger singt im Feld.
In das Mühlrad, das noch rollte,
Greift er mit kristallner Hand,
Und den Bach, der murmeln wollte,
Hält im Fall er festgebannt.
[12]
Durch die feierliche Runde
Geht ein Hauch von Majestät,
Der das Lied verbannt vom Munde
Und ihn weiht zum Festgebet.
Nur der Grund im Schlittengleise
Tönt von lieblich leisem Klang,
Gleich als tönte unterm Eise
Der verbannten Blumen Sang.
Auch mein Rößlein läßt nicht schweigen
Die Musik im Schellenkranz,
Stolzer trägt's sein Haupt zum Reigen,
Zierlich wirft's den Fuß im Tanz.
Und berauscht vom eignen Klingen
Saust's in Trunkenheit dahin,
Wie am Kastagnettenschwingen
Sich entflammt die Tänzerin.
Hier und dort wird von den Tönen
Ein entschlummert Echo wach;
Schläfrig, mit gutmüth'gem Höhnen
Murmelt's das Geläute nach. –
Jage, muntres Rößlein, jage!
Holst doch nicht mein Sinnen ein,
Das enteilt in ferne Tage,
Das entflohn in Südens Hain;
[13]
Wo die Lüfte lauer wallen,
Wo die Sonne goldner glänzt,
Wo die götterreichen Hallen
Frühling schon mit Blumen kränzt.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Grün, Anastasius. Gedichte. In der Veranda. Lied und Leben. Im Schlitten. 1. [Durch das Schneefeld schießt mein Schlitten]. 1. [Durch das Schneefeld schießt mein Schlitten]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-0EE9-9