[177] 3. Glockenruf

Es keimt ein Saatkorn künft'ger Thaten
In jedem Wunsch; – drum wünsche nur!
Doch streu' auf deine Lebensflur
Nur gutes Korn und reine Saaten.
So will auch ich die Glocke wiegen,
Daß weit ihr Aufschrei widerhallt,
Und daß, so lang ihr Ton mir schallt,
Zum Himmel meine Wünsche fliegen:
»Aus der Betäubung dumpfer Träume,
Mein Heimatland, mein Volk, wach' auf!
Sieh deiner Nachbarn Siegeslauf!
O Schmach, wer da im Wettkampf säume!
Den wüsten Schlaf reib' aus den Augen,
Die noch umflort, obschon es Tag;
Blick' in den Glanz! – Lichtscheue mag
Dem Olm in deinen Grotten taugen.
Bist scharfen Blicks, geweckten Geistes,
Bist klug, wie schon dein Dichter sang;
Der Schlaftrunk doch wirkt stark und lang,
Den man im Kelch kredenzt, du weißt es!
[178]
Von Berg zu Berg das Feuerzeichen
Rief einst zur Wacht in Türkennoth,
Der Sklaverei, die dir gedroht,
Zu wehren mit des Schwertes Streichen.
Doch Greise jetzt und Neugebor'ne
Umschnürt ein andres Sklavenband:
Kaftan und Kutte sind verwandt,
Sowie Beschnitt'ne und Geschor'ne.
Von Haupt zu Haupt des Lichtes Zeichen,
Das auch die neuen Türken bannt,
Laß flammen jetzt durchs weite Land
Und diese Flammen nie erbleichen!
Das Licht, entquollen einst in Strahlen
Dem Lämpchen jenes Bergmannssohns,
Es flog vom Schacht zu Höhn des Throns
Und leuchtet' einst auch diesen Thalen.
Gesalbte Schergen doch zertraten
Mit plumpem Fuß den Funkenrest;
Die Finsterniß begann ihr Fest
Und Geistesnacht reift ihre Saaten.
Sie heimsen ein; welch lustig Treiben!
Hei, wie der Peterspfennig springt!
Doch wo des Tetzels Büchse klingt
Wird auch nicht fern der Luther bleiben. –
[179]
Vom öden Karst, von eis'gen Tauern
Umschlossen ist dein Wunderland;
Die Berge sind nicht Kerkerwand,
In Einsamkeit dich einzumauern.
Doch Zinnen sind's und die erklimme!
Halt Umschau! Sieh, wie dir die Welt
Den Eisenarm entgegenhält,
Dir zuruft mit des Blitzes Stimme.
Tritt in des Weltmarkts offne Hallen,
Du siehst, was Menschenkunst ersann,
Was dir das Sein verschönern kann,
Hörst aller Völker Sprachen schallen.
Aus allen tönt wie Eines Mundes
Die Losung, die auch dich erfaßt;
Du bist nicht mehr ein fremder Gast,
Ein treuer doch des Völkerbundes.
Wach' auf, wach' auf! Vom Leibe raffe
Die Lappen finstrer Dienstbarkeit!
Für hohe Ziele kämpft die Zeit,
Umgürt' auch dich mit ihrer Waffe!
Sei wie dein Strom, der in die Klüfte
Des Höhlendunkels jäh verschwand,
Den Weg zum Licht doch wieder fand,
Und funkelnd grüßt die sonn'gen Lüfte.« – –
[180]
Das war mein Wünschen, während dessen
Der Glocke Klang die Luft durchschnitt,
Bis müd' mein Arm vom Seile glitt; –
Mein eigen Selbst hatt' ich vergessen.
Doch ohne Klage will ich tragen
Das Leid, das meine Brust verschließt,
Wenn Glück und Ruhm dieß Land umfließt
Und drüber hell're Sterne tagen.

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TextGrid Repository (2012). Grün, Anastasius. Gedichte. In der Veranda. Aus Krain. In Veldes. 3. Glockenruf. 3. Glockenruf. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-1010-2