[72] Cincinnatus

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1.

Im Golf Neapels, an Pompeji's Küsten
Liegt eines Schiffes majestät'scher Bau;
Matrosen, an den Masten klimmend, rüsten
Zur nahen Abfahrt Segel schon und Tau.
Am Missisippi grünten einst die Wipfel,
Jetzt im Tyrrhenermeer sich spiegelnd dort
Entlaubt und kahl! Jedoch von ihrem Gipfel
Tönt lust'ger Vögel Lied noch immerfort!
Von außen über der Kajüte schimmert
Ein Römerheld, geschnitzt, als Schutzpatron,
Deß Haupt ein goldner Lorberkranz umflimmert,
Deß Hand als Strauß Cyanen hält und Mohn.
Ein Garbenbund liegt ihm zur Linken munter,
Rechts droht das Beil aus Ruthen grimm heraus;
Die Aehnlichkeit verbürgend, spricht darunter
Goldschrift den Namen: »Cincinnatus« aus.
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Von vierundzwanzig Sternen golddurchschossen,
Neigt drüber sich die blaue Flagge mild,
Wie eine späte Glorie, die umflossen
Mit Sternenglanz das alte Heldenbild.
Ein Sohn Amerika's, gekreuzt die Hände,
Lehnt still am Mast an Cincinnatus' Bord;
Sein Aug' durchschweift im Flug des Golfs Gelände,
Winkt hier ein Lebewohl, nickt Grüße dort:
»Europa's Hand Italia, die schöne,
Erhebt sich segnend über'm Wogenglanz,
Und daß des Meeres Haupt sie liebend kröne,
Hält sie Neapels Golf als würd'gen Kranz.
Er riß vor Füll'! Im Blüthenkuß nicht küssen
Misenums und Minervens Kap sich mehr!
Wie einzle Blumen liegen losgerissen,
Zerstreut, die schönen Inseln bunt umher!
O Capri, Rose, schön im Spätroth glühend!
Doch sieh, Tibers zertrümmert Riesenschloß,
Es ist der Kuß der Schlange, geifersprühend,
Der, Rose, dir entweiht den keuschen Schooß!
Nisita's, Ischia's weiße Burgen schimmern
Wie Wasserlilien über'm Meeresplan;
Doch Kettenklang und der Gefangnen Wimmern
Steigt als der Kelche Duften himmelan!
Ihr Blüthen rings, mich täuscht nicht euer Kosen!
Ich weiß, ihr seid ein Selam nur der Schmach!
Geschrieben hat in Lorbern und in Rosen
Hier jede Zeit die Gräu'l, die sie verbrach!
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Ich weiß es, Ros' und Lorber trunken schwellen
Nur in dem Duft, der rings aus Gräbern steigt;
Orangen, Reben und Granaten quellen
Nur von dem Blute, das sie reich gesäugt!
Sie Alle sind Guirlanden nur, zu ranken
Und einen großen Blutaltar: dieß Land,
Die von des Opfers Todeskrampf noch schwanken,
Dran noch sein letzter Sterbehauch gebannt!
Es lodert mitten durch des Weltbrands Trümmer
Vesuv, das letzte Haus, das fort noch brennt;
Neapel, stolz gehüllt in Lärm und Schimmer,
Sein Schutt ist deines Baues Fundament!
Dein Volk, nur Trümmer jenes sturmentrafften,
Gewalt'gen Heldenvolks voll Glanz und Kraft,
Und deines Marktes kleine Leidenschaften
Nur Trümmer einer großen Lebenskraft!
Castellamare dort, wo Anjou's Veste
In Trümmern stottert noch manch blutig Wort!
Elysium, eines Himmels Trümmerreste!
Avernus, einer Hölle Trümmer dort!
Sorrent's Gestad' im blauen Flur von Lüften!
Wie mich dieß Wort mit süßem Schmerz beschlich!
Sieh', auf Gesängen und Orangendüften
Wiegt ein zertrümmert Dichterleben sich!
Pompeji, sei gegrüßt, erhabne Leiche!
Die Gegenwart als Leichenräuber schwingt
Den Spaten; seht, wie er mit jedem Streiche
Zu Tag ein Stück der Weltgeschichte bringt!
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Du bist das Antlitz nur vom Leib des Riesen,
Den noch umhüllt der Erde Leichenkleid!
Doch deines Hauptes welke Züge wiesen
Die alte Kraft und Füll' und Heiterkeit!
Dein Sarno, der dir einst als Kraftathlete
Der Schätze Last zum Port gewälzt so leicht,
Sieh, wie er mühsam jetzt zum Meeresbeete,
Gleich wie ein Greis zum Grab auf Krücken, schleicht!
Und triumphirend über Menschenkräfte
Pflanzt manchen Baum in deiner Hallen Flur,
Manch Moos dir auf Altär' und Säulenschäfte
Als Fahne der Erob'rung die Natur.
Doch blinkt noch unversehrt der Gräber Straße;
Ach, das allein Beständ'ge ist das Grab!
Und lächelnd wandelt deine öde Gasse
Der alte Sonnenschein noch auf und ab.«
So sprach des fernen Westens Sohn, indessen
Die Sonn' am Horizonte niederzog,
Von wo durchs Meer ihr Glanzstreif unermessen
Bis an sein Schiff als goldne Brücke flog.
Und auf der goldnen Brücke wandelt heiter
Des Jünglings Geist gen Westen unverwandt,
Wallt durch die Meereswüste, immer weiter
Und fort und fort, da ruft er jubelnd: Land!
»Land! Land! o meines Vaterlands Gestade!
Willkommen, Baltimore's schöner Strand,
Der mit den grünen Armen die Najade,
Das Meer, als seine süße Braut umspannt!
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Es braust der Susquehannah, wogenschlagend,
Als Hymne dir vom Mund zum Preis der Braut;
Washingtons Mal, als lichter Pharus ragend,
Liegt dir als Talisman am Herzen traut.
Seid mir gegrüßt, ihr Wälder, Königsriesen,
Umwallt von farb'ger Ranken blühendem Reis,
Die purpurnen Trompeten gleich, als bliesen
Sie in Posaunen eurer Schönheit Preis!
Gewalt'ge Ströme, drauf des Dampfschiffs Wolke
Durch Urwaldwüsten und Savannen steigt
Und, wie die Säule Rauchs einst Jakobs Volke,
Die Bahn zu neuem, schön'rem Eden zeigt!
Ihr Städte, über Nacht entsprossen schnelle
Gleich Blumen, seht, an euren Marktbrunn lenkt
Der Damhirsch seinen Schritt und sucht die Quelle,
Die gestern noch im Walde ihn getränkt!
Ihr stillen Pflanzungen einsam Zerstreuter,
Wo zu den Bäumen floh des Menschen Schmerz,
Die, greisen Aerzten gleich, ihr Laub wie Kräuter
Ihm heilend legen auf das wunde Herz!
Sieh, Leben rings auf jedem deiner Züge!
Selbst jene Grabeshügel alter Zeit
Verhüllt, wie eine tausendjähr'ge Lüge,
Auch eines tausendjähr'gen Waldes Kleid!
Selbst die Cypresse Mont Vernons, die düsternd
Vom Grab des Helden ferne Schiffer grüßt,
Ein Lied des Lebens säuselt sie, das flüsternd
Aufs Vaterland noch wie sein Segen fließt!
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Wehklagend flieht der Urwald immer weiter,
Bison entstürzt und Panther mit Geheul,
Und hinter ihnen schwingt triumphesheiter
Der Mensch, obsiegend der Natur, das Beil!
Mein Vaterland, in deines Lebens Glanze
Sieh hin jetzt in Pompeji's Angesicht,
Daß auch das deine einst im Todeskranze
So ruhig lächle und so ernst, so licht!
Daß, sollst du einst dem Dolch der Zeiten fallen,
Du heiter dich in deinen Mantel hüllst,
Und, so wie Cäsar, vor den Zeugen allen,
Im Tod noch groß und würdig sinken willst!«
So einte Ostens Lorber, Westens Palme
Sein Geist auf goldner Sonnenbrück' als Kranz;
Pompeji gab des Tods Cypressenhalme,
Amerika des Lebens Rosenglanz.
Die Blumen wurden farb'ger stets und lichter,
Da senkt' er sie ins ew'ge, tiefe Meer;
So, Freunde, senkt sie auch, gleich ihm, der Dichter
In eures Busens ew'ges, tiefes Meer.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Grün, Anastasius. Gedichte. Schutt. Cincinnatus. 1. [Im Golf Neapels, an Pompeji's Küsten]. 1. [Im Golf Neapels, an Pompeji's Küsten]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-1035-1