[125] [127]In einer tödlichen Kranckheit

Ists möglich/ wie man sagt/ daß die gehäufften Schmertzen/
In die ich mich vertiefft/ noch iemand gehn zu Hertzen/
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Ists möglich/ daß man noch mit dem Mitleiden trägt/
Auf den der harte Blitz mit lichtem Feuer schlägt/
Den zwar die grause Noth/ die Kirch und Haus verzehret/
Und Städte weggesengt/ und Länder umgekehret/
Doch mehr das tolle Glück mit aller Donner Macht/
Und grimmer Winde Sturm und trüber Wetter Nacht/
Schier ieden Tag zusetzt. Was kan wol einer nennen
Aus aller Jammer Heer/ daß ich nicht werde kennen/
Das mich nicht hat verletzt. Als noch die liebe Schoß
Der Mutter mich ihr Pfand und letzte Lust beschloß/
Hat stracks/ ich weiß nicht was/ auf was noch nicht gebohren/
O unerhörter Grimm! O Laster! sich verschworen/
Und als ich kaum den Tag diß süsse Licht erblickt/
Durch unerkannte List und fremde Stück entrückt.
O hätt ich doch die Welt/ als sie mich erst gegrüsset/
Eh ich sie noch erkennt/ auffs letzt alsbald geküsset/
So schlieff ich sonder Pein! eh mich das vierdte Jahr
Der vierdte Winter fand/ lag dieser auf der Bahr
Den ich mich schuldig bin/ und diß mein müdes Leben;
Er fiel durch Gifft/ das ihm ein falscher Freund gegeben/
Der offt vor seinem Muth und hohen Geist erblast.
Mir leyder viel zu früh. Eh ich die rauhe Last
Und den Verlust empfand/ hat die so schwache Glieder
Des Febers Hitz entsteckt/ die Kranckheit warff mich nieder/
Der Todt schwärmt über mir; Doch weil ich ihn begehrt
Hat mir der Menschen Feind den Rücken zugekehrt/
Und nahm die Seele weg im Mittel ihrer Tage
Ja Frühling ihrer Zeit/ um die ich kläglich zage.
Wiewohl sie/ weil sich noch in mir ein' Ader regt
Und weil der warme Geist in beyden Brüste schlägt
Mir wird im Hertzen stehn. Die die mich hat gebohren/
Die lieber ihren Leib/ als mich ihr Kind verlohren.
Was hat mich/ da sie weg/ was hat mich nicht verletzt/
Welch Schmertzen/ welche Qual hat mir nicht zugesetzt?
Wer hat der Güter Rest nicht diebisch mir entzogen/
Und meinen Geist gekränckt/ und mich mit List betrogen?
Wen hab ich nicht/ der ie mein Elend recht beschaut
Mit höchstem Seelen Weh der schwartzen Grufft vertraut?
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Ich hab Asterien die Augen zugedrücket
Und deine keusche Leich Hippolite beschicket/
Hippolite vorhin mein Trost nun meine Pein/
Die ehmals mich ergötzt um die ich ietzund wein.
Dicæus den bey uns das gantze Land gehöret
Und den das gantze Land ans Fürsten Statt geehret/
Dicæus bot mir selbst als er die Welt verließ
Und in der Armen Band den werthen Geist ausbließ
Zum letzten seine Faust/ ich fiel in tausend Schmertzen
Mit seinem Athem hin; Der Sinn/ die Krafft des Hertzen
Die Seele selbst verschwand. Das kalte Blut bestund
Als ihn der Tod umfieng. Wie grimmig diese Wund/
Doch kan ich sie noch nicht mit dieser Angst vergleichen/
Die ietzt mich überfällt. Ach hätt ich deine Leichen/
Mein Bruder hätt ich doch die Leiche noch geküst/
Wenn ja der Parcen-Schluß nun eine kurtze Frist/
Ein Wort/ ein kurtz Ade mir nicht vergönnt zu hören;
Ach muß mich dieser Blitz der scharffe Pfeil versehren!
Weil ich so fern von dir ein unbekandtes Land
Und weites Volck beschau. Ach zeuchst du deine Hand
So plötzlich von mir ab! nun ieder mich verlassen
Und nichts als Ach und Angst und Schmertz und Weh umfassen
Und solche Noth die auch ein fremdes Hertz durchbricht/
Wenn man ein wenig nur von meinem Elend spricht
Das hier kaum iemand weiß. Was kan ich mehr begehren
Als daß mein Nahm und Land und Stand und heisse Zähren
Bleib allen unbekandt. Weil/ wenn ich diß betracht/
Mein Nahm und Land und Stand nur viel betrübte macht.
Fragt Livia fragt nicht warum ich euch beklaget/
Fragt nicht mehr wer ich sey/ wo richtig–- was ihr saget
Und euch der rauhe Sturm der mich noch ietzt anweht/
So tieff zu Hertzen geht/ so wünsch ich Schönste seht
Euch in so hoher Ruh als grimmig meine Wunden/
Und findet so viel Freud und angenehme Stunden
Und unverfälschte Lust als Jammer in der Welt
Und Weh und Pein und Angst mich täglich überfält.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Gryphius, Andreas. Gedichte. Vermischte Gedichte. In einer tödlichen Kranckheit. In einer tödlichen Kranckheit. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-18F7-7