7.
Dimitte me! ut plangam paulum dolorem meum

Job. 10.

1.
Bißher/ hab ich mein Weh' vnd überhäufftes Leid
Vnd Trauren-volle Schmertzen/
Vnd die gehäuffte Noth
Die dem gekränckten Hertzen
Verspricht den schnellen Tod/
Verhüllt mit lindem Ach vnd stiller Traurigkeit!
[82] 2.
Bißher war Halß vnd Mund/ vnd Lipp vnd Zung erstarrt!
Ich wolte meine Plagen
Vnd meiner Seelen Pein
Nicht so vor allen Klagen/
Nun fällt mein Abend ein!
Nun seh' ich/ daß ich hab' vmbsonst auff Trost geharrt.
3.
Mein Vntergang ist dar! der müde Geist verschwindt'
Die Kräffte sind vergangen/
Die Armen beben mir/
Der Tod hat mich vmbfangen/
Der Wangen Purpur-Zier
Er stirbt/ der Pulß besteht/ die Augen werden Blind.
4.
Ich habe meine Zeit in heisser Angst verbracht!
Diß Lebenlose Leben
Fällt/ als ein Traum entweicht/
Wenn sich die Nacht begeben
Vnd nun der Mond erbleicht!
Doch mich hat dieser Traum/ nur schrecken voll gemacht.
5.
O Erden gutte Nach! Ihr Menschen/ ich vergeh!
Ihr ewig-lichte Kertzen/
Ihr Wälder/ ihr Revier
Ihr Zeugen meiner Schmertzen:
Ihr wüsten Felder ihr!
Ihr Thäler/ den ich offt mein Leid vertraut/ ade!
6.
Ihr Bücher/ meine Lust; gehabt euch itzund wol!
Ihr Musen/ meine Wonne!
Uranie mein Liecht!
Du aller Künste Sonne.
[83]
Was hilfft dein Vnterricht
Nun mein betrübter Geist vom Leibe scheiden sol!
7.
Was hilfft/ das ich alhier; was mich itzt läst/ besaß?
Was hilfft/ das stette lesen?
Ich muß! ich muß davon!
Als wer' ich nie' gewesen/
Vnd krig' ein Grab zum Lohn!
Das meinen Leib verkehrt in ein erschrecklich Aaß.
8.
Was hilfft daß ich die Zeit vnd die Natur gekenn't/
Daß mich so viel gepriesen/
Daß mich so viel geehrt!
Vnd denen mich gewiesen
Die offt mein Lob gehört;
Ich hab' eh' als man dacht/ den kurtzen Lauff vollend't
9.
Was nutzt der hohe Stand/ der Tod/ siht den nicht an!
Was nutzt mein Thun vnd schreiben/
Daß die geschwinde Zeit/
Wird als den Rauch zu treiben/
O Mensch! O Eitelkeit!
Was bist du/ als ein Strom/ den niemand halten kan!
10.
Ich seh' ich muß doch fort! Ach dreymal grosser Gott.
Wofern dich noch bewegen
Diß heisse seufftzen kan!
Heiß mich das Haupt nicht legen;
Biß ich (itzt fang ich an)
Noch einmal/ vnd zu letzt beweinet meine Noth!
11.
Jedoch was klag ich dir/ dir ist mein Leid bekannt
Was wil ich dir entdecken
[84]
Was du viel besser weist?
Die Schmertzen die mich schrecken/
Die Wehmuth die mich beist/
Vnd daß ich meinem Ziel mit winseln zugerand?

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TextGrid Repository (2012). Gryphius, Andreas. Gedichte. Oden. Oden. Das dritte Buch. 1657. 7. Dimitte me! ut plangam paulum dolorem meum. 7. Dimitte me! ut plangam paulum dolorem meum. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-1A60-9