[10] [Einstens lebt ich süßes Leben]

Einstens lebt ich süßes Leben,
denn mir war, als sey ich plötzlich
nur ein duftiges Gewölke.
Uber mir war nichts zu schauen
als ein tiefes blaues Meer
und ich schiffte auf den Woogen
dieses Meeres leicht umher.
[11]
Lustig in des Himmels Lüften
gaukelt ich den ganzen Tag,
lagerte dann froh und gaukelnd
hin mich um den Rand der Erde,
als sie sich der Sonne Armen
dampfend und voll Gluth entriß,
sich zu baden in nächtlicher Kühle,
sich zu erlaben im Abendwind.
Da umarmte mich die Sonne,
von des Scheidens Weh ergriffen,
und die schönen hellen Strahlen
liebten all und küßten mich.
Farbige Lichter
stiegen hernieder,
hüpfend und spielend,
wiegend auf Lüften
duftige Glieder.
Ihre Gewande
Purpur und Golden
und wie des Feuers
tiefere Gluthen.
Aber sie wurden
blässer und blässer,
bleicher die Wangen,
sterbend die Augen.
Plötzlich verschwanden
mir die Gespielen,
und als ich traurend
nach ihnen blickte,
[12]
sah ich den großen
eilenden Schatten,
der sie verfolgte,
sie zu erhaschen.
Tief noch im Westen
sah ich den goldnen
Saum der Gewänder.
Da erhub ich kleine Schwingen,
flatterte bald hie bald dort hin,
freute mich des leichten Lebens,
ruhend in dem klaren Aether.
Sah jetzt in dem heilig tiefen
unnennbaren Raum der Himmel
wunderseltsame Gebilde
und Gestalten sich bewegen.
Ewige Götter
saßen auf Thronen
glänzender Sterne,
schauten einander
seelig und lächelnd.
Tönende Schilde,
klingende Speere
huben gewaltige,
streitende Helden;
Vor ihnen flohen
gewaltige Thiere,
andre umwanden
in breiten Ringen
Erde und Himmel,
[13]
selbst sich verfolgend
ewig im Kreise.
Blühend voll Anmuth
unter den Rohen
stand eine Jungfrau,
Alle beherrschend.
Liebliche Kinder
spielten in mitten
giftiger Schlangen. –
Hin zu den Kindern
wollt ich nun flattern,
mit ihnen spielen
und auch der Jungfrau
Sohle dann küssen.
Und es hielt ein tiefes Sehnen
in mir selber mich gefangen.
Und mir war, als hab ich einstens
mich von einem süßen Leibe
los gerissen, und nun blute
erst die Wunde alter Schmerzen.
Und ich wandte mich zur Erde,
wie sie süß im trunknen Schlafe
sich im Arm des Himmels wiegte.
Leis erklungen nun die Sterne,
nicht die schöne Braut zu weken,
und des Himmels Lüfte spielten
leise um die zarte Brust.
Da ward mir, als sey ich entsprungen
dem innersten Leben der Mutter,
[14]
und habe getaumelt
in den Räumen des Aethers,
ein irrendes Kind.
Ich mußte weinen,
rinnend in Trähnen
sank ich hinab zu dem
Schooße der Mutter.
Farbige Kelche
duftender Blumen
faßten die Thränen,
und ich durchdrang sie,
alle die Kelche,
rieselte Abwärts
hin durch die Blumen,
tiefer und tiefer,
bis zu dem Schooße
hin, der verhüllten
Quelle des Lebens.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Günderode, Karoline von. Gedichte. Gedichte aus dem Nachlaß. [Einstens lebt ich süßes Leben]. [Einstens lebt ich süßes Leben]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-20DF-4