[123] [125]Flavia
Leipzig

[125] [127]An Flavien

Nun warthe, Flavia, das will ich dir gedencken!
Du kennst den schmerzlichen Verdruß,
Wenn Lieb und Sehnsucht warthen muß,
Und kanst mich so empfindlich kräncken.
Ich weis ja nicht, woran ich bin,
Ob Falschheit oder Noth dir Fuß und Willen binde.
Hier schick ich bey der kahlen Linde
Aus Eifer und aus Angst so Fluch als Seufzer hin.
Du nennst mir Zeit und Ort, du schwierst mir, gleich zu kommen;
Ich lausch, ich zehl, ich hoff und fleh,
Das Mondlicht hat, so viel ich seh,
Fast um ein Vierthel zugenommen.
Es teuscht mich Schatten, Hahn und Wind,
Ich mein, ich seh dein Bild, so sind es nur Gedancken, Kind!
Und regt sich was um Strauch und Plancken,
So schleich und zisch ich nur: Ach, kommstu? Komm, mein
Die Nacht ist niemands Freund. Sie ist vielleicht erschrocken?
Verliebte ficht kein Blendwerk an.
Die Mutter ist nicht Schuld daran,
Denn jezo ruhn Gestrick und Rocken.
Wie, wenn das Mägdgen untreu wär?
Dies kenn ich auch zu gut, es thut mir nichts zum Poßen.
So geh und mach ich tausend Gloßen
Und sinne doch umsonst mit Unruh hin und her.
Ach, warum lies ich dich doch einmahl aus den Armen?
Mein Weinen schmelzt und mehrt den Teich;
Ich werd auf einmahl grau und bleich,
Es möchte Stern und Stein erbarmen.
Ach, sollte morgen doch das Eiß
Die traurende Gestalt dir noch im Spiegel zeigen!
Du würdest vor Erschröcknüß schweigen,
Indem wohl deine Schuld nicht einen Vorwand weis.
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Du scherzest wohl nicht gar? Das will ich ja nicht hofen,
Es käm uns beiden hoch zu stehn.
Was hör ich dort vor Thüren gehn?
Was seh ich vor ein Fenster ofen?
Hilf Himmel! Welcher Anblick fällt?
Ist dies nicht Scandors Haar? Ist dies nicht meine Schöne?
So hastu, listige Syrene,
O Ansehn voller Schimpf, mich darum hergestellt?
Den Streich vergeß ich nicht, es sey denn nach der Strafe.
Die Rache sey von nun an scharf
Und gebe, wo ich wüntschen darf,
Daß eure Brunst den Tag verschlafe.
Das Schröcken mache Spiel und Kuß,
Die Hize deinen Leib, die Ohnmacht ihn zu Schanden,
Bis, wenn du trostlos aufgestanden,
Dein eigner Mund mir selbst die Thorheit beichten muß.

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TextGrid Repository (2012). Günther, Johann Christian. Gedichte. Gedichte. Liebesgedichte und Studentenlieder. Flavia. An Flavien. An Flavien. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-216D-B