[307] Lob des Winters

Verzeiht, ihr warmen Frühlingstage,
Ihr seyd zwar schön, doch nicht vor mich.
Der Sommer macht mir heiße Plage,
Die Herbstluft ist veränderlich;
Drum stimmt die Liebe mit mir ein:
Der Winter soll mein Frühling seyn.
Der Winter zeigt an seinen Gaben
Die Schäze gütiger Natur,
Er kan mit Most und Äpfeln laben,
Er stärckt den Leib und hilft der Cur,
Er bricht die Raserey der Pest
Und dient zu Amors Jubelfest.
Der Knaster schmeckt bey kaltem Wetter
Noch halb so kräftig und so rein,
Die Jagd ergözt der Erden Götter
Und bringt im Schnee mehr Vortheil ein,
Der freyen Künste Ruhm und Preis
Erhebt sich durch den Winterfleiß.
Die Zärtligkeit der süßen Liebe
Erwehlt vor andern diese Zeit;
Der Zunder innerlicher Triebe
Verlacht des Frostes Grausamkeit;
Das Morgenroth bricht später an,
Damit man länger küßen kan.
Der Schönen in den Armen liegen,
Wenn draußen Nord und Regen pfeift,
Macht so ein inniglich Vergnügen,
Dergleichen niemand recht begreift,
Er habe denn mit mir gefühlt,
Wie sanfte sich's im Finstern spielt.
[308]
Da ringen die getreuen Armen
Mit Eintracht und Ergözligkeit,
Da laßen sie den Pfiehl erwarmen,
Den oft ein falsches Dach beschneit,
Da streiten sie mit Kuß und Biß
Und wüntschen lange Finsternüß.
Das Eiß beweist den Hofnungsspiegel,
Der viel entwirft und leicht zerfällt;
Ich küße den gefrornen Riegel,
Der mir Amanden vorenthält,
So oft mein Spiel ein Ständchen bringt
Und Sayth und Flöthe schärfer klingt.
Ich zieh den Mond- und Sternenschimmer
Dem angenehmsten Tage vor;
Da heb ich oft aus meinem Zimmer
Haupt, Augen, Herz und Geist empor,
Da findet mein Verwundern kaum
In diesem weiten Raume Raum.
Euch Brüder hätt ich bald vergeßen,
Euch, die ihr nebst der deutschen Treu
Mit mir viel Nächte durch geseßen;
Sagt, ob wo etwas Beßres sey,
Als hier bey Pfeifen und Camin
Die Welt mitsamt den Grillen fliehn.
Der Winter bleibt der Kern vom Jahre,
Im Winter bin ich munter dran,
Der Winter ist ein Bild der Baare
Und lehrt mich leben, weil ich kan;
Ihr Spötter redet mir nicht ein;
Der Winter soll mein Frühling seyn.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Günther, Johann Christian. Gedichte. Gedichte. Liebesgedichte und Studentenlieder. Studentenlieder. Lob des Winters. Lob des Winters. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-24A3-6