[131] An einen guten Freund

Genug, verwegner Kiel, las Gift und Scheeren seyn
Und zeuch doch nun einmahl den bittern Stachel ein,
Womit du dann und wann auch öfters ohn Gewißen
Des Nechsten Ehrenkleid erbermlich durchgerißen.
Die Warheit bringt kein Brodt; wer ihre Geige streicht,
Muß, wenn der Bogen oft um Haar und Schedel fleucht,
Sich leider allzuoft mit Schimpf und Spott bequemen,
Anstatt des Dichterlohns nur Stüber einzunehmen.
Zudem, so ist bekand, daß der, so andre schiert,
Die Flecken, die er zeigt, stets an sich selber führt.
Die Thorheit ist gemein, und seit uns Evens Bißen
Die Unschuld und dabey das Paradies entrißen,
Ist niemand ohne Schuld; denn die bleibt einerley,
So unterschiedlich auch die Art der Fehler sey.
Der eine greift nach Wind und sucht auch in dem Kittel
Ein wohlgebohrnes Von und ausgedehnte Tittel.
Der andre frist sich kaum des Jahres dreymahl satt
Und küst den kalten Schaz, den er zum Herren hat.
Der dritte lebt galant und meint, in schönen Sünden,
Die Schürz und Nacht verdeckt, sein höchstes Gut zu finden.
Der puzt den Giebel aus und macht geborgten Wind,
Und wenn der Beuthel denn ein heimlich Loch gewinnt,
So kreucht er stille durch und läst mit saurem Blicke
Dem guten Glaubiger die Frau zum Zins zurücke,
Die, da vorher mit ihr manch geiler Mund gezehrt,
Sich nach der Biebel hält und von dem Lieben nährt.
Und was bedarf es viel? Wir haben alle Sparren;
Wer sich an andre reibt, der zeigt den grösten Narren.
Ich schließe mich nicht aus und will auch mein Vergehn,
Jedoch mit Reu und Leid und Beßrung, gern gestehn:
Das Kalbfleisch hielte mich im Frühling meiner Jahre,
Und meine Feder grif den Reichsten in die Haare.
Es musten Jung und Alt aus allen Ständen dran,
Und meine Latte lief an andre Schellen an,
[132]
Die, wenn sie ohngefehr mit Haß und Eifer klungen,
Bey vielen noch ein Lob von meinem Dichten sungen.
War wo ein Ignorant, den seines Junckers Macht
Mitsamt der Kammermagd geschwind ans Bret gebracht
Und der, weil Gott das Dorf der Strafe würdig achtet,
Ein geistlich Hirtenamt durch Mammonslist gepachtet,
Ward weiter hier und da ein tummer Rabulist
Vom Glücke, das nur scherzt, ins Fürsten Schoos geküst,
Worin der Wittwen Ach und armer Waysen Thränen
Auch Stümpern insgemein die sichre Straße bähnen,
Ja, sah ich manchen Kerl aus stinckendem Urin
Durch List und Schwäzerey den reichsten Vortheil ziehn
Und, wenn die Goldtinctur ein ganzes Land be – –,
An Wein und im Bordel des Nechsten Schweiß vergießen,
So schrie mein Satyr gleich: Die schärfste Striegel her!
Und wenn auch Rad und Schwerd darauf gestanden wär,
So hätt ich dennoch nicht den Vorwiz zwingen können,
Mir nicht das freye Maul in Schriften zu verbrennen.
Allein, was folgte drauf? Verfolgung, Grimm und Neid.
Und mein gesalzner Scherz, der manches Ohr erfreut,
Biß andre, die er traf, wie Pfefer in die Nasen,
Und jeder scheute mich wie einen Hund im Rasen.
Nein, nein, es geht nicht gut, und mein gewizter Sinn
Schreibt nun an jede Wand die kluge Regel hin:
Will jemand, daß sein Ruhm nicht Glück und Stern verliere,
So kehr er doch nur stets vor seiner eignen Thüre!
Und dies betracht auch du, verhaster Musensohn
Und auf drey ganze Jahr gemachter Saufbaron,
Du, deßen Gall und Gift in handgereimten Schriften
Dir in der Vaterstadt ein schwarz Gedächtnüß stiften.
So viel ein Wespennest erzürnte Stacheln weist,
Sobald ein tummes Kind in ihre Zellen reißt,
So viel stehn, glaub es nur, mit Fluchen, Zorn und Flammen
Aus Rache wider dich in Fenstern schon beysammen.
Wie hat der gute W – – dein schimpflich Lied verdient?
Er ist gestraft genug, daß ihm kein Glücke grünt,
Und kan ja überdies zu seinem lieben Knaben
[133]
Vielleicht wohl auch von dir ein Stückchen Arbeit haben.
Wie, oder thustu das wohl gar aus Eifersucht?
Denn die zieht insgemein dergleichen herbe Frucht
Und reizt dich hier zu dem, was andre Schwachheit plaget,
Indem dir, wie man spricht, die Magd den Tanz versaget.
Was soll das Unschlitlicht, das auf der Canzel brennt?
Vielleicht, daß man dabey die Narben beßer kennt,
Womit dich die Natur in Blattern zeichnen laßen,
Um einmahl deinen Kopf mit Hörnern einzufaßen.
Ist die Perruque fett, in die du dich verirrst
Und wo nicht etwan gar mit deiner selbst verwirrst,
So ist es gut vor dich und darfst hierbey nicht sorgen,
Er möcht dazu das Schmalz von deinem Hasen borgen.
Im Fall, es gienge noch und würde nur belacht,
Weil alles Brüder sind, die öfters mit Bedacht
Und sonder Eigensinn einander freundlich wicksen,
Denn keinem schadet doch ein Scherz von jungen Füchsen –
Allein, was ficht dich an, daß auch die Unschuld fühlt,
Wie beißend und ergrimmt dein lahmer Phoebus spielt?
Und wie gereicht dir wohl der Leyer Thon zu Ehren,
Die Mägdgen schöner Brust mit Zorn und Wehmuth hören?
Gesezt, doch nicht bejaht, daß manch galantes Kind,
Wenn Fleisch und Blut sich regt, auf sein Vergnügen sinnt.
Wir Männer tadeln stets das gute Frauenzimmer
Und wißen immer viel und sind doch zehnmahl schlimmer.
Man muzt an ihnen stets auch alles haarklein auf,
Ja, wüsten sie einmahl auch unsern Lebenslauf,
Sie würden dem und dem die abgespielten Waden
Gewis nicht obenhin mit scharfer Lauge baden.
Besinne dich nur wohl und wirf einmahl den Blick
Auf jene goldne Zeit im Pleiß-Athen zurück!
Was meinstu, wenn sie hier Gesellschaft suchen wollten?
Was meinstu, wie sie dir die Sitten höhnen sollten!
Vom Morgen in die Nacht und durch die Nacht bis früh
Steht Kann und Lampe voll, das grundgelehrte Vieh
Sizt unter Rauch und Dampf wie Engel in der Hölle.
Der flucht die Stube schwarz, der parfumirt die Zelle
[134]
Mit einer Specerey, die nicht nach Ambra stinckt.
Man schreyt, man r – –, man lermt, Glas, Stahl und Pflaster klingt,
Und was der Wechselbrief des Morgens eingetragen,
Das quillt des Abends schon den Purschen aus dem Magen.
Kleid, Wäsche, Ring und Rock, ja selber Gottes Wort
Geht mit der Biebel oft zum Geldhebräer fort.
Und wenn ein karger Wolf den Hausrath ausgefreßen,
Bekommt die junge Magd die höflichsten Careßen,
Und säh auch gleich ihr Bild wie Mephiboseths aus,
So macht der Pursche doch oft zwischen Stroh und Laus
Durch ihre süße Nacht sich manche gute Tage.
Hilft diese denn nicht mehr, so ist Egyptens Plage
Viel schlechter als die Angst, so uns Studenten quält.
Da stüzt man Kopf und Arm, die Baarschaft wird gezehlt
Und steiget (Gott erbarm's!) nicht über sieben Dreyer.
Da geht die Noth erst an, da wird das Lachen theuer,
Wenn Schuldner und Pedell den armen Tropf erschröckt,
Den noch ein guter Freund in seinen Kasten steckt,
Durch Stadt und Thore schickt und den, der sonst verschwendet,
In abgerißner Tracht der Mutter wieder sendet,
Der Mutter, die daheim zu allen Nachbarn rennt
Und vor den lieben Sohn, dem Strumpf und Hose trennt,
Ein reiches Mägdgen sucht, die manch Laus Deo zahle
Und als Frau Doctorin davor von außen prahle.
Was meinstu, guter Freund und deutsch genannter Sp(eer),
Wenn manches schönes Kind der Sachen kundig wär,
Wie höhnisch sollten sie des blinden Hochmuths lachen,
So oft man sich nicht scheut, es noch gewehlt zu machen!
Da sezt man jeglicher auch schlechte Fehler aus,
Die renckt den Steiß zu sehr, die hat kein reinlich Haus,
Der fehlt es an Vernunft und jener an dem Bleche.
Da schwört man: Wo ich nicht die ersten Rosen breche,
So kehr ich ihr den Hals auch in der Brautnacht um.
Wo steht denn, guter Freund, das Privilegium,
Daß, wenn das gute Kind ein Küßchen mitgenoßen,
[135]
Dein Eifer rasen mag, da du dich gar verschoßen?
O tumme Welt, pack ein, pack ein, beschämter Freund!
Denn wo dein Stachel es noch weiter ernstlich meint,
So brennt dir ganz gewis von W – – alter Anne
(Sonst kriegstu doch kein Weib) das Pulver von der Pfanne.
Die Mägdgen, die du nechst so grob gestriegelt hast,
Stehn jezt mit Nadeln, Zwirn und Ruthen schon gefast,
Dir, wie du wohl verdient, nach abgezognen Hosen
Statt unsrer Musenschaar am Pindus liebzukosen.
Und wie der Weiber Gunst, die jeder Kluger schäzt,
Das Grab des Frauenlobs zu Maynz mit Wein genezt,
So dörfte, sollte dir der Tod den Nacken krümmen,
Dein Sarg noch ganz gewis in Jungfernwaßer schwimmen.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Rechtsinhaber*in
TextGrid

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Günther, Johann Christian. Gedichte. Gedichte. Freundschaftsgedichte und -briefe. Landeshut Oktober 1721 - Jena 15. März 1723. An einen guten Freund. An einen guten Freund. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-24E0-9