[156] An Herrn Hans Gottfried von Beuchelt

Wie ist's, Calliope? Wie? Sind wir nicht mehr Freunde,
Und greift mich irgends auch die Arglist meiner Feinde,
Die Günthern auf der Welt nicht ruhig leiden kan,
Nunmehr zu guter Lezt mit deiner Trennung an?
Dies hätte noch gefehlt, mein Elend voll zu machen.
Der achte Lenz rückt an, seitdem ich wie ein Nachen
Auf ungestümer See bald hier-, bald dorthin flieh,
Verachtung und Gefahr und Kummer nach mir zieh,
Des Leibes starcken Bau durch Sturm und Wetter breche
Und, was mein Unglück ist, des Geistes Freyheit schwäche.
Was hab ich nicht gewüntscht, erduldet und gefühlt,
Verändert, gut gemeint, beseufzt, gewagt, verspielt,
Versucht, gehoft, geharrt und eifrig übernommen!
Wie mancher ist ein Narr, schimpft Kluge, lacht der Frommen,
Verläst sich auf Betrug und lebt in Tag hinein,
Läst Gott den besten Mann und fünfe grade seyn
Und kommt gleichwohl ans Bret, so tumm er angefangen;
Zum Haben braucht er nichts als Kühnheit und Verlangen
Und Grobheit vor Verstand. Nur mir (das ist zu viel)
Erwirbt der beste Fleiß das schlimmste Widerspiel,
Als wär ich schon versehn, durch ein so mühsam Leben
Vom Eigensinn des Glücks ein Muster abzugeben.
Und sollt auch blos darum ein Wunderwerck geschehn,
So muß der Dinge Lauf sich mir zuwider drehn,
Bis alles, was ich thu und noch so furchtsam wage,
Die Hofnung, die mich lockt, auf einmahl niederschlage.
In solchem Ärgernüß und so viel langer Qual
Bist du, Calliope, gleichwohl noch allemahl
Nach dem, der oben herrscht, mein Arzt und Trost gewesen,
Du, die ich als ein Kind mir schon zur Braut erlesen
Und ganz entzückt geküst, eh noch mein Wiz errieth,
Warum ich Flavien so gern ein Hühnchen brieth.
Was lidt ich dort nicht schon um deiner Liebe Willen!
Der Vater zog mich ab, verwarf mein Spiel als Grillen
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Und sprach (ich hör es noch): Sohn, wirf den Bettel hin
Und häng den Brodtkorb an; kein Reimen bringt Gewinn,
Und wenn die Krancken uns den fetten Zins entrichten,
So müst ihr faules Volck von magern Kühen dichten.
So pfif, so schwezt er mir, doch stets vergebens, vor;
Natur gieng über Zwang, ich nahm dein Lautenchor,
Kroch hinter Holz und Herd, in Winckel, in den Garthen
Und lies dabey umsonst Schlaf, Tisch und Kegel warthen.
Dies sahst, dies mercktestu, und weil, wo nicht mein Spiel,
Dir doch zum wenigsten die Lust darzu gefiel,
So gabstu dich mir gern und willig zu erkennen.
Da wurden wir vertraut, mein Herz fing an zu brennen
Und lernte nach und nach, zuerst von ohngefehr,
Daß zweyerley Geschlecht und Lieben Leben wär.
Jezt kam mir der Besiz von deiner Gunst zu statten,
Dort, wo mir Roschkowiz im kühlen Lindenschatten
Durch Filindrenens Kuß den ersten Wuntsch entführt
Und wo ihr Nahme noch viel glatte Bircken ziert.
Du weist, Calliope, die Nachtlust im Gefilde,
Den nahen Aufenthalt von klein- und großem Wilde,
Die Gegend, so den Blick durch Wiesen, Wald und Feld
Von weitem und auch nah mit Wollust unterhält,
Dort, wo die faule Loh durch Forst und Thäler schleichet,
Wo unser Schlesien sich selbst an Schönheit weichet
Und wo der heilge Stamm der großen Eiche steht,
Die Logau, Lohenstein und unser Gryph erhöht.
O allerliebster Ort, wie sollt es mich ergözen,
Noch einmahl meinen Fuß auf deine Trift zu sezen!
Ach kleines Roschkowiz, wie wohl gefällstu mir!
Mein Ruhplaz ist noch fern; ach, wär er doch in dir!
Ach, käm es mir so gut, mit Büchern und mit Singen
Nach überstandner Angst mein Leben hinzubringen!
Doch was der Himmel will und was sein Schluß versehn,
Das will ich ohne Zwang, das mag, das muß geschehn.
Du weist, Calliope, dergleichen Sehnsuchtslieder
Bewegten dort herum das Echo hin und wieder;
Da lebte Günther wohl, da war noch gute Zeit,
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Da wusten wir noch nichts von Noth, von Dürftigkeit,
Von Spott und Heucheley, die bald mit Haufen kamen
Und Glücke, Gönner, Freund und Muth und alles nahmen.
Mit Wehmuth lies ich dich, geliebtes Vaterland,
Mit Klagen schlug ich dort den grünen Oderstrand,
Mit Thränen gab ich oft Albinens Brodt vom Tische
Und mit Verzweiflungsangst erfüllt ich das Gepüsche
Der schönen Philuris, die dennoch meiner Noth
(Gott schüze sie davor!) fast Mutterhände both
Und, wenn es nah und fern auf meine Scheitel krachte,
Empfindung, Furcht und Last ein gut Theil leichter machte,
Doch niemahls so geschickt als du, Calliope.
Dies ist und bleibt dein Ruhm, an dem ich nichts erhöh,
Als was die Warheit hebt. Die Treu von Leonoren,
Die ihrem Beßer mehr gehalten als geschworen,
Die Treu, die Zärtligkeit, die Neigung und die Lust
Erhielt ich auch von dir; du stärcktest meine Brust,
Du lidtest freudig mit, erzeigtest dich gelaßen,
Bewiesest mit Vernunft, ein tapfres Herz zu faßen,
Und bothest mir den Arm zur sichern Stüze dar.
So scheinbar und so groß mein täglich Unglück war,
So wenig kont es dich von meiner Seite bringen.
Die Feinde brachen ein, du fingest an zu singen,
Da wich, wie dort bey Saul, der Geist der Traurigkeit.
Ein Winck war schon genung, so sah ich dich bereit,
Mein staubicht Instrument dem Hiob nachzustimmen,
Und fühlte gleich in mir dein hülfreich Feuer glimmen.
Wie aber hält es jezt so gar erbermlich fest?
Was ahnt dir, sprödes Kind? Was ist es, das dich preßt?
Und warum mäulstu dich? Ach, las dich doch bedeuten
Und spanne nicht zu hoch, sonst reißt mein Zorn die Saythen
Und greift, verstocktes Ding, wie du schon oft gethan,
Dich mit der Stachelschrift so scharf und höhnisch an,
Daß, wenn auch Phoebus selbst dir nicht zuwider wollte,
Mein Eifer dennoch mehr als Phoebus gelten sollte.
Bin ich dir nicht mehr lieb, so sey doch nicht so grob
Und wegre nicht die Hand vor deßen wahres Lob,
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Der dir so gut als mir ein Herz voll Liebe schencket
Und beßer als wir selbst auf unsre Kinder dencket.
Geh in dich, hartes Kind, und las den tollen Sinn!
Nun wohl, ich seh, du kommst; komm her, sez an, schreib hin
Und rede dies vor mich: Freund, deßen Geist und Mienen
Auch selbst den Gratien zum Anmuthsspiegel dienen,
Freund, deßen Lieb und Huld dem, den sie einmahl fängt,
Den Zweifel, los zu seyn, bis an das Herz verschränckt,
Nimm, ist es deiner werth, ein unverfälscht Gemüthe
Vor Hecatomben an; die unverdiente Güte
Verdient ein Widergelt; mehr kan die Armuth nicht,
Die allzeit ihren Dorn in unsern Lorbeer flicht.
Und glaube mir dabey ohn alle Flüch und Schwüre,
Im Fall mir auch von dir nichts Gutes widerführe,
Daß deßen ungeacht (dies schreibt die Warheit her)
Mein Herze gegen dich ein Herz voll Ehrfurcht wär.
Mein Herz, das fromme Schaaf nicht von gemeinem Haufen,
Läst niemahls seinen Trieb durch Mammonsblech erkaufen;
Es sieht auf Redligkeit, es schäzt den treuen Sinn,
Und wo es diese trift, da läuft es willig hin,
Da bleibt, da läst es sich zum Freundschaftsopfer schlachten.
Du wirst es, edler Freund, des Dienstes würdig achten.
Ist deiner Redligkeit mit Redligkeit gedient,
So feßle dieses Pfand. Es hat sich viel erkühnt
Und ofters ziemlich starck auf deine Gunst verlaßen;
Doch weil du Beuchelt bist, so weis es Trost zu faßen
Und traut dir alles zu, was edle Seelen ziert.
Ich bin so wunderlich viel Schulen durchgeführt;
Du kennst das Herzeleid, womit mich Feinde sichten,
Und bist allein geschickt, mich endlich aufzurichten.
Dies kommt nun darauf an, daß so ein Freund wie du
Mit Sanftmuth und Vernunft den Fehlern Einhalt thu,
Die Schwachheit überseh, die böse Zeit beklage
Und alles so zu mir wie zu sich selber sage.
Dies unterlas doch nicht an mir, mein Jonathan!
(Schau, wie die Liebe sich so wenig bergen kan.)
Ich weis, ich bin ein Mensch, der leichtlich fällt und gleitet,
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Wenn inn- und eußerlich die Noth das Fleisch bestreitet.
Erinnre, stelle vor, schreib, rede kräftig ein;
Ein Scheltwort soll von dir mir allzeit lieber seyn
Als andrer blinde Gunst und noch so reiches Schmeicheln.
Wer Glück und Beßrung wüntscht, der muß sich selbst nicht heucheln,
Sonst kommt er um die Frucht, worauf die Strafe zielt.
Ich habe von Geburth den edlen Trieb gefühlt,
Die an Verstand und Wiz mir anvertrauten Gaben
Nicht wie der Knecht sein Pfund aus Faulheit zu begraben;
Ich bin der Wißenschaft begierig nachgeeilt,
Ich habe meine Zeit in vielen Fleiß getheilt
Und schon, so jung ich bin (ohn Eigenlob zu dichten),
Manch lehrbegierig Herz durch stilles Unterrichten
Zur Warheit angeführt, zur Weißheit aufgeweckt;
Ich hab auch jedermann die Neigung frey entdeckt,
Wie gern ich, wenn es mir die Ohnmacht nicht verwehrte,
Vor andrer Wohlergehn mein eignes Blut verzehrte,
Und damit geht auch wohl die rechte Weißheit um,
Und darauf gründet sich das wahre Christenthum.
Allein, was ist der Danck, so recht und gut ich's meine?
Verfolgung, Dürftigkeit, Gram, Misgunst, Lästersteine
Und Lügen oben drauf. So schmerzlich frißt kein Schwerd,
Als dieses Ärgernüß durch Marck und Beine fährt.
Dies macht den Geist verzagt, dies macht den Cörper mürbe,
So daß ich seufzen muß: Ach, wenn ich doch nur stürbe,
Da endlich auch sogar mein eigen Fleisch und Blut
Den Feinden wider mich aus Blindheit Vorschub thut
Und der auch, dem – ach Gott, hier kan ich nichts als schweigen;
Wer recht, wer unrecht sey, mag deine Vorsicht zeigen.
Indeßen fällt der Muth, der Cörper nüzt sich ab,
Und beide, wie gesagt, begehren Ruh und Grab.
Du siehest Tag vor Tag, du Ursprung aller Dinge,
Mit was vor Ungedult die müde Sehnsucht ringe,
Du zehlst die Thränen ab, du wägst mein schweres Ach,
Bist gütig, voller Macht, siehst größern Sündern nach,
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Erkennst mein ehrlich Herz und ernstliches Gebethe,
Womit ich insgemein vor deine Gnade trete;
Wie aber kanstu dich von denen, die dich schmähn,
Ohn alle Hülf und Rath so lange martern sehn?
Es reißt ja Neid und Groll die Stärcke meiner Glieder
So wie ein hungrig Thier verirrte Pilger nieder.
Ich fleh und winde mich. Umsonst. Dein Ohr ist taub,
Das Leben meine Last und ich der Feinde Raub.
Bin ich nun Schuld daran, so reiß mich von der Erden!
Was ist dir denn gedient, noch mehr erzürnt zu werden?
Macht aber fremder Fluch mein Leben unruhvoll,
Wo bleibt die Billigkeit, die jeder ehren soll?
Du bist ja Gott; ist's wahr, so wie ich weis und glaube,
So wälze doch nur nicht den armen Wurm im Staube,
Der, wenn ihn auch dein Zorn, dein Eifer ganz zerschmeist,
Ein schlechtes Heldenwerck der höchsten Allmacht heist.
So ängstlich, edler Freund, schreyt oft mein Widerwillen,
Wenn Schatten, Stern und Schlaf Welt, Luft und Auge füllen
Und wenn die Einsamkeit der kummervollen Nacht
Den Zustand meiner Noth im Finstern klärer macht.
Da sezet sich mein Geist im Umsehn keine Schrancken,
Da sinnt er hin und her, da spielt er mit Gedancken,
Da seh ich selbst in mir die Händel dieser Welt,
Den bösen Lauf der Zeit im Spiegel vorgestellt,
Da find ich nichts als List und weder Treu noch Glauben,
Da seh ich Narren blühn und kluge Leute schrauben,
Da schröckt mich hier und dort Krieg, Hunger, Pest und Brand,
In Ehen Zanck und Haß, in Freundschaft Unbestand,
Im Tempel Hochmuth, Geiz, Verleumdung, Wechselbäncke,
In Schulen Finsternüß und leeres Wortgezäncke,
In Themis Heiligthum ein goldnes Spinnennest,
Das magre Fliegen fängt und Hummeln schwermen läst,
Im reichsten Contoir viel Fluch an schönen Wänden
Und endlich überhaupt in groß- und kleinen Ständen
Das Leben und die Zeit der hundertzwanzig Jahr,
Eh Noah mit dem Bau des Kastens fertig war.
Ein solches Ärgernüß von allgemeinem Jammer
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Verjagt mir oft den Schlaf aus Auge, Bett und Kammer,
Bis daß zulezt mein Geist auf dich, mein Beuchelt, fällt
Und, weil ihn sonst kein Bild vergnügter unterhält,
Licht, Blat und Feder sucht, ein Trostlied aufzusezen.
Vergönne mir die Lust; denn da mir das Ergözen
Der Unterredung fehlt, so sprech ich stumm mit dir
Und meine dich zu sehn und seh doch nur Papier.
Daraus entwirf dir nun der wahren Liebe Stärcke;
Sie thut bey Freunden stets dergleichen Wunderwercke.
Mein Creuz sey noch so schwer, ich schleppe, weil es geht;
Wer weis, was noch vor mich im Vorsichtsbuche steht
Und ob ich nicht vielleicht, des Alters zu genießen,
Das, was ich leiden soll, auf einmahl leiden müßen.
Erscheint kein holder Stern, so ist es eben das:
Gewohnheit schwächt das Gift. Ich will ohn Unterlas
Nichts minder eifrig thun und auf die Ruh studiren.
Wer nichts mehr übrig hat, der kan nichts mehr verlieren.
Entkräftet mich die Müh, im Grabe schläft man aus,
Die Nacht ist lang genung. Beschliest kein eigen Haus
Mich und ein dienstbahr Volck, ist doch die Welt nicht enge.
Betrübt mich dann und wann der Feinde Macht und Menge,
Gott stirbt, Gott ändert nicht. Sechs Kluge sind mir hold,
Und Beuchelt ist mein Freund. Entbehr ich Geld und Gold,
Entbehr ich vieler Furcht; mein Schaz ist ohne Bürde:
Die Selbstzufriedenheit. Erhöht mich keine Würde,
So stört kein Modegruß die süße Morgenruh;
Regier ich keinen Staat, so seh ich sicher zu;
Und wird mein siecher Leib von Arbeit mitgenommen,
So bleibt der Wiz gesund. Will niemand zu mir kommen,
So redet mein Verstand mit Leuten, die nicht sind,
Durch deren Beyspiel auch mein Elend Trost gewinnt.
Ja, schadet noch zulezt die Misgunst meiner Ehre,
So weis ich, daß sie theils zur Eitelkeit gehöre,
Theils in mir selbst besteh. Auch geht's vielleicht noch an,
Daß meine Ruhmbegier ihr Futter finden kan;
Die Hofnung speist sie schon, man werde von mir lesen,
Daß Günther und sein Fleiß nicht gar umsonst gewesen.
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Verhängnüß, wo ich dich noch etwas bitten darf,
Ach, so verfahre doch dein Rathschluß nicht so scharf.
Ich bitte nur zehn Jahr nebst einem Mäcenaten;
Dich kommt es nicht schwer an, und mir ist viel gerathen.
Ich will gewis davon den vierten Theil kaum ruhn,
Ich will der Welt damit noch manche Dienste thun
Und in der Poesie durch unermüdet Wachen
Verdienter Männer Ruhm in Deutschland ewig machen;
Denn was am Menschen lebt, ist Tugend und Verstand
Und Kunst und Wißenschaft, das andre deckt der Sand.
Mein Beuchelt, hilf mir auf und gieb mir jezt das Leben,
Ich will und werd es dir bis auf die Nachwelt geben,
Und daß mein Tod dein Lob nicht übereilen soll,
So heft ich schon damit der Zeit den Flügel voll.

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TextGrid Repository (2012). Günther, Johann Christian. An Herrn Hans Gottfried von Beuchelt. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-258B-5