[152] Auf die Tadler

Wer kehrt sich an die tumme Welt?
Sie kan doch nichts als tadeln.
Wem Treu und Warheit nur gefällt,
Der kan sich selber adeln
Und überwindet nach und nach
Die ohne Schuld erlidtne Schmach.
Kein Handwerck geht doch jezt so gut
Als blos das Hechelmachen.
Ein Narr, der sonst nichts kan und thut,
Der legt sich aufs Verlachen.
Da ist kein Ding so schlecht und klein,
Ein loses Maul muß drüber seyn.
Die Unschuld geht nicht ledig aus,
Der Spott trift auch den Besten.
Ein Brautgelach, ein Kindelschmaus
Schwermt überall von Gästen,
Bey welchen jeder in der Stadt
Sein Urtheil zu gewarthen hat.
Die Straße sey so breit sie will,
Man geht nicht ungestoßen.
Da hör ich oftmahls in der Still
Von Kleinen und von Großen,
Wie da und dort ein Völckchen sizt,
Das Mienen, Kleid und Gang beschmizt.
Die Brüder bey dem Aquavit
Sind Meister in dem Kügeln
Und wißen alles, was geschieht,
So unverschämt zu striegeln,
Daß einer, der den Nechsten liebt,
Sich schon vom Hören übergiebt.
[153]
Ich habe meine Richterbanck
An mehr als tausend Orten;
Da zieht man mich so kurz als lang
Mit Mienen und mit Worten.
Doch werd ich dadurch schlecht bewegt;
Wer zürnt wohl, den ein Esel schlägt?
Man spricht: Es ist die Mode so,
Man muß es mit ihr halten;
Ein geistlich dulci jubilo
Gehört den tummen Alten;
Der neuen Zeiten beßrer Thon
Klingt recht galant und schön nach Hohn.
Herodes danck euch vor dies Lied,
Ich mag's so leicht nicht singen.
Doch wo mich eure Fistel zieht,
So lernt vorher gut springen;
Sonst heult mein Satyr und sein Chor
Euch ganz gewis erschröcklich vor.
Denn seyd ihr gar so schlimm und grob,
Mich ohne Noth zu stören,
So sollt auch ihr dies schöne Lob
Von eurem Wandel hören;
Denn dieser geht so rein und nett
Als kaum ein Lumpenquodlibet.
Da soll Magister Lobesan
Mitsamt den klugen Schwestern
Und mancher bunte Nothgalan
Blos in den Schubsack lästern.
Denn scheeren sie nur ofenbahr,
So kommen sie gewis ums Haar.
Ein Kluger schnizt und hobelt zwar
Am ersten seinen Balcken;
[154]
Doch schändet man ihn ganz und gar,
So kan er auch den Falcken,
Die jedes Nechsten Splitter sehn,
Mit Recht die Spiz entgegendrehn.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Günther, Johann Christian. Gedichte. Gedichte. Klagelieder und geistliche Gedichte. (Lauban) Anfang August 1720 - Hirschberg Ende September 1721. Auf die Tadler. Auf die Tadler. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-25B6-1