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Wer des Glückes Huld verdiente
Schon von aller Ewigkeit,
Drückt den Becher seiner Wünsche
An das Herz für alle Zeit.
Eben als ich schwören wollte
Zu enthalten mich vom Wein,
Sprach ich: »Trägt dies Bäumchen Früchte,
Werden's die der Reue sein.«
Und gesetzt, dass mir ein Teppich,
Lilienweiss die Schulter deckt:
Trägt ein Musulman Gewänder,
Rosenroth mit Wein befleckt?
Einsam sitzen ohne Leuchte
Eines Glases kann ich nicht:
Muss der Winkel eines Weisen
Immer hell doch sein und licht.
Hell vom Kerzenlicht und Weine
Strahle meine Einsamkeit!
Thöricht ist der Trunk'nen Tugend
In der schönen Rosenzeit.
Jetzt im Lenz, im trauten Kreise,
Wo man nur von Liebe spricht,
Wär' es Stumpfsinn, nähm' den Becher
Aus des Liebling's Hand man nicht.
Immer strebe nach dem Höchsten:
Schmückt kein Demant auch das Glas,
Ist der schönste der Rubine
Zechern doch der Rebe Nass.
Willst du guten Ruf erwerben,
Herz, so flieh' der Bösen Kreis:
Lust am Bösen, theure Seele,
Ist für Thorheit ein Beweis.
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Scheint mein Thun gleich unvernünftig,
Sieh's doch nicht verächtlich an:
Denn in diesem Land beneidet
Der Monarch den Bettelmann.
Gestern sprach ein Frommer: »Heimlich
Trinkt Hafis beständig Wein.«
Was geheim ist, o mein Frommer,
Kann doch wohl nicht Sünde sein.

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Ḥāfeẓ, Šams o'd-din Moḥammad. 86.. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-296D-7