[157] Freunde und Menschen

1

Leidenschaftlichen Sinns und heissbegehrenden Herzens
haderst du still mit der Welt, weil sie dir nimmer genügt.
Lieber vertraue dir selbst! Es reifen die Früchte dem Manne,
wenn er die Menschen beherrscht, weil er die Menschen durchschaut.

2

Ganz nur im Banne der Kunst und Männer wie Weiber verachtend,
stirbst du als Junggesell einst, wenigen Freunden getreu.
Schmählich misslang der Versuch, dir die weibliche Bestie zu zähmen –
sage, wie kommt es da nur, dass wir dich Papa genannt?
Sollte vielleicht das Geschick darauf warten, bis du noch gezähmt wirst,
bis dich ein lächelndes Kind bürgerlich Vater benennt?

[158] 3

Unfruchtbar – doch beherrscht von der Formlust schwelgendem Wahnsinn,
ringst du als Mensch und Poet unter erdrückender Last.
Und, zu erschweren dein Loos, verliehn dir zornige Götter
zart und stolz ein Gemüth, tief in der trotzigen Brust.

4

Lehrhaft, kühl-überlegen, beschaust du die Welt und die Menschen,
und der vergeistigte Kopf redet so weise, so schön.
Sehen nur möcht ich dich einst – wie stets ich Unmögliches wünsche –
menschlich befangen einmal – ob das Orakel dann schweigt?

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Hartleben, Otto Erich. Freunde und Menschen. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-36AA-5