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Steinregen

Aber mit dem Steinregen verhält es sich anderst. Das ist keine Einbildung. Denn man hat darüber viele alte glaubwürdige Nachrichten und neue Beweise, daß bald einzelne schwere Steine, bald viele miteinander von ungleicher Größe, mir nichts, dir nichts, aus der Luft herabgefallen sind. Die älteste Nachricht, welche man von solchen Ereignissen hat, reicht bis in das Jahr 462 vor Christi Geburt. Da fiel in Thrazien, oder in der jetzigen türkischen Provinz Rumili, ein großer Stein aus den Lüften herab, und seit jener Zeit bis jetzt, also in 2267 Jahren, hat es, soviel man weiß, 38mal Steine geregnet. Z.B. im Jahr 1492 am 4. November fiel bei Ensisheim ein Stein, der 260 Pf. schwer war. Im Jahre 1672 bei Verona in Italien zwei Steine von 200 und 300 Pf. Nun kann man denken, von alten Zeiten sei gut etwas erzählen. Wen kann man fragen, ob's wahr sei? Aber auch ganz neue Erfahrungen gehen diesen alten Nachrichten Glauben. Denn im Jahr 1789 und am 24. Juli 1790 fielen in Frankreich, und am 16. Juni 1794 in Italien viele Steine vom Himmel, das heißt, hoch aus der Luft herab. Und den 26. April 1803 kam bei dem Ort l'Aigle im Orne-Departement in Frankreich ein Stein regen von 2000–3000 Steinen auf einmal mit großem Getöse aus der Luft.

[1806]


Sonntags den 22. Mai 1808 sind in Mähren Steine vom Himmel gefallen. Der Kaiser von Östreich ließ durch einen sachkundigen Mann Untersuchung darüber anstellen. Dies ist der Erfund:

Es war ein heiterer Morgen, bis um halb sechs Uhr ein[46] Nebel in die Luft einrückte. Die Filialleute von Stannern waren auf dem Weg in die Kirche, und dachten an nichts. Plötzlich hörten sie drei starke Knälle, daß die Erde unter ihren Füßen zitterte; und der Nebel wurde auf einmal so dicht, daß man nur 12 Schritte weit zu sehen vermochte. Mehrere schwächere Schläge folgten nach, und lauteten wie ein anhaltend Flintenfeuer in der Ferne, oder wie das Wirbeln großer Trommeln. Das Rollen und das Pfeifen, das zwischendrein in der Luft gehört wurde, brachte daher einige Leute auf den Gedanken, jetzt komme die Garnison von Telisch mit türkischer Musik. An das Kanonieren dachten sie nicht. Aber während als sie vor Verwunderung und Schrecken einander ansahen, fing in einem Umkreis von ungefähr 3 Stunden ein Regen an, gegen welchen kein Mantel oder Maltersack über die Achseln schützt. Eine Menge von Steinen, von der Größe einer welschen Nuß bis zu der Größe eines Kindskopfs, und von der Schwere eines halben Lotes bis zu 6 Pfund, fielen unter beständigem Rollen und Pfeifen aus der Luft, einige senkrecht, andere wie in einem Schwung. Viele Leute sahen zu, und die Steine, welche sogleich nach dem Fallen aufgehoben wurden, waren warm. Die ersten schlugen nach ihrer Schwere tief in die Erde. Einer davon wurde 2 Fuß tief herausgegraben. Die spätern ließen es beim nächsten bewenden, und fielen nur auf die Erde. Ihrer Beschaffenheit nach sind sie inwendig sandartig und grau, und von außen mit einer schwarzen glänzenden Rinde überzogen. Die Zahl derselben kann niemand angehen. Viele mögen in das Fruchtfeld gefallen sein, und noch in der Erde verborgen liegen. Diejenigen, welche gefunden und gesammelt worden, betragen an Gewicht 2 1/2 Zentner. Alles dauerte 6 bis 8 Minuten, und nach einigen Stunden verzog sich auch der Nebel, so, daß gegen Mittag alles wieder hell und ruhig war, als wenn nichts vorgegangen wäre. Dies ist die Begebenheit. Was es aber mit solchen Steinen, die vom Himmel fallen, für eine Bewandtnis habe, daraus machen die Gelehrten ein Geheimnis, und, wenn man sie fragt, so sagen sie, sie wissen es nicht.

[47]

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TextGrid Repository (2012). Hebel, Johann Peter. Prosa. Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes. Mancherlei Regen. 4. Steinregen. 4. Steinregen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-4307-3