Der Wächter in der Mitternacht

»Loset, was i euch will sage!
D'Glocke het Zwölfi gschlage.«
Wie still isch alles! Wie verborgen isch,
was Lebe heißt, im Schoß der Mitternacht
uf Stroß und Feld! Es tönt kei Menschetritt;
es fahrt kei Wagen us der Ferni her;
kei Hustür gahret, und kei Otem schnuuft,
und nit emol e Möhnli rüeft im Bach.
's lit alles hinterm Umhang jez und schloft,
und öb mit lichtem Fuß und stillem Tritt
e Geist vorüber wandlet, weißi nit.
Doch was i sag, ruuscht nit der Tiich? Er schießt
im Leerlauf ab am müede Mühlirad,
und näume schliicht der Iltis unterm Dach
de Tremle no, und lueg, do obe zieht
vom Chilchturn her en Ül im stille Flug
dur d'Mitternacht, und hangt denn nit im Gwülch
die großi Nachtlaterne dört, der Mond?
Still hangt si dört, und d'Sterne flimmere,
wie wemmen in der dunkle Regenacht,
vom wite Gang ermattet, uf der Stroß
an d'Heimet chunnt, no keini Dächer sieht
und numme do und dört e fründli Licht.
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Wie wird's mer doch uf eimol so kurios?
Wie wird's mer doch so weich um Brust und Herz,
as wenni briege möcht, weiß nit worum;
as wenni 's Heimweh hätt, weiß nit no was?
»Loset, was i euch will sage!
D'Glocke het Zwölfi gschlage.
Und isch's so schwarz und finster do,
se schine d'Sternli no so froh,
und us der Heimet chunnt der Schi
's muß lieblig in der Heimet si!«
Was willi? Willi dure Chilchhof goh
ins Unterdorf? Es isch mer d'Tür seig off,
as wenn die Toten in der Mitternacht
us ihre Gräbere giengen, und im Dorf
e wenig luegten, öb no alles isch
wie almig. 's isch mer doch bis dato ken
bigegnet, aß i weiß. Denkwol i tue's,
und rüef de Tote – nei sel tueni nit!
Still willi uf de stille Gräbere goh!
Sie hen jo d'Uhr im Turn, und weiß i denn,
isch au scho ihre Mitternacht verbei?
's cha si, es fallt no dunkler alliwil
und schwärzer uf sie abe – d'Nacht isch lang.
's cha si, es zuckt e Streifli Morgerot
scho an de Berge uf – i weiß es nit.
Wie isch's so heimli do? Sie schlofe wohl
Gott gunnene's! – e bizli schuderig,
sel läugni nit; doch isch nit alles tot.
I hör jo 's Unrueih in der Chilche; 's isch
der Pulz der Zit in ihrem tiefe Schlof,
und d'Mitternacht schnuuft vo de Berge her.
Ihr Otem wandlet über d'Matte, spielt
dört mittem Tschäubbeli am grüne Nast,
und pfift dur d'Scheie her am Gartehag.
Sie chuuchet füecht an d'Chilchemur und chalt;
die lange Fenster schnattere dervo
und 's lopperig Chrütz. Und lueg, do lüftet si
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en offe Grab! – Du guten alte Franz,
se hen sie au di Bett scho gmacht im Grund,
und 's Deckbett wartet uf di nebe dra,
und d'Liechtli us der Heimet schine dri!
He nu, es gohtis alle so. Der Schlof
zwingt jeden uffem Weg, und eb er gar
in d'Heimet dure chunnt. Doch wer emol
si Bett im Chilchhof het, gottlob, er isch
zum leztemol do niden übernacht,
und wenn es taget, und mer wachen uf,
und chömmen use, hemmer nümme wit,
e Stündli öbben, oder nitemol. –
Se stolperi denn au no d'Stäpfli ab,
und bi so nüechter bliebe hinechtie.
»Loset, was i euch will sage!
D'Glocke het Zwölfi gschlage.
Und d'Sternli schine no so froh,
und us der Heimet schimmert's so,
und 's isch no umme chleini Zit.
Vom Chilchhof het me nümme wit.«
Wo bini gsi? Wo bini echterst jez?
E Stäpfli uf, e Stäpfli wieder ab,
und witers nüt? Nei weger, witers nüt?
Isch nit 's ganz Dörfli in der Mitternacht
e stille Chilchhof? Schloft nit alles do,
wie dört vom lange müede Wachen us,
vo Freud und Leid, und isch in Gottis Hand,
do unterm Straudach, dört im chüele Grund,
und warte, bis es taget um sie her?
He, 's würd jo öbbe! Und wie lang und schwarz
au d'Nacht vom hoche Himmel abe hangt,
verschlofen isch der Tag deswegen nie;
und bis i wieder chumm, und nonemol,
so gen mer d'Gühl scho Antwort, wenni rüef,
se weiht mer scho der Morgeluft ins Gsicht.
[126]
Der Tag verwacht im Tannewald, er lüpft
alsgmach der Umhang obsi; 's Morgeliecht,
es rieslet still in d'Nacht, und endli wahlt's
in goldne Strömen über Berg und Tal.
Es zuckt und wacht an allen Orte; 's goht
e Lade do und dört e Hustür uf,
und 's Lebe wandlet use frei und froh.
Du liebi Seel, was wird's e Firtig si,
wenn mit der Zit die lezti Nacht versinkt,
wenn alli goldne Sterne groß und chlei,
und wenn der Mond und 's Morgerot und d'Sunn
in Himmelsliecht verrinnen, und der Glast
bis in die tiefe Gräber abe dringt,
und d'Muetter rüeft de Chindlene: »'s isch Tag!«
und alles usem Schlof verwacht, und do
ne Laden ufgoht, dört e schweri Tür!
Die Tote luegen use jung und schön.
's het menge Schade gutet übernacht,
und menge tiefe Schnatte bis ins Herz
isch heil. Sie luegen use gsund und schön,
und tunke 's Gsicht in Himmelsluft. Sie stärkt
bis tief ins Herz – o wenn 's doch bald so chäm!
»Loset, was i euch will sage!
D'Glocke het Zwölfi gschlage.
Und d'Liechtli brennen alli no;
der Tag will iemerst no nit cho.
Doch Gott im Himmel lebt und wacht,
er hört wohl, wenn es Vieri schlacht!«

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TextGrid Repository (2012). Hebel, Johann Peter. Gedichte. Alemannische Gedichte. Der Wächter in der Mitternacht. Der Wächter in der Mitternacht. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-434E-7