Wie der Zundelfrieder eines Tages aus dem Zuchthaus entwich, und glücklich über die Grenzen kam

Eines Tages, als der Frieder den Weg aus dem Zuchthaus allein gefunden hatte, und dachte: »Ich will so früh den Zuchtmeister nicht wecken«, und als schon auf allen Straßen Steckbriefe voranflogen, gelangte er abends noch unbeschrieen an ein Städtlein an der Grenze. Als ihn hier die Schildwache anhalten wollte, wer er sei, und wie er hieße, und was er im Schilde führe; »könnt Ihr Polnisch?« fragte herzhaft der Frieder die Schildwache. Die Schildwache sagt: »Ausländisch kann ich ein wenig, ja! Aber Polnisches bin ich noch nicht darunter gewahr worden.« »Wenn das ist«, sagte der Frieder, »so werden wir uns schlecht gegeneinander explizieren können.« Ob kein Offizier oder Wachtmeister am Tor sei? Die Schildwache holt den Torwächter, es sei ein Polak an dem Schlagbaum, gegen den sie sich schlecht explizieren könne. Der Torwächter kam zwar,[230] entschuldigte sich aber zum voraus, viel Polnisch verstehe er auch nicht. »Es geht hiezuland nicht stark ab«, sagte er, »und es wird im ganzen Städtel schwerlich jemand sein, der kapabel wäre, es zu dolmetschen.« »Wenn ich das wüßte«, sagte der Frieder, und schaute auf die Uhr, die er unterwegs noch an einem Nagel gefunden hatte, »so wollte ich ja lieber noch ein paar Stunden zustrecken bis in die nächste Stadt. Um neun Uhr kömmt der Mond.« Der Torhüter sagte: »Es wäre unter diesen Umständen fast am besten, wenn Ihr gerade durchpassiertet, ohne Euch aufzuhalten, das Städtel ist ja nicht groß«, und war froh, daß er seiner los ward. Also kam der Frieder glücklich durch das Tor hinein. Im Städtlein hielt er sich nicht länger auf, als nötig war, einer Gans, die sich auf der Gasse verspätet hatte, ein paar gute Lehren zu gehen. »In euch Gänse«, sagte er, »ist keine Zucht zu bringen. Ihr gehört, wenn's Abend ist, ins Haus oder unter gute Aufsicht.« Und so packte er sie mit sicherm Griff am Hals, und mir nichts dir nichts unter den Mantel, den er ebenfalls unterwegs von einem Unbekannten geliehen hatte. Als er aber an das andere Tor gelangte, und auch hier dem Landfrieden nicht traute, drei Schritte von dem Schilderhaus, als sich inwendig der Söldner rührte, schrie der Frieder mit herzhafter Stimme: »Wer da!« der Söldner antwortete in aller Gutmütigkeit: »Gut Freund!« Also kam der Frieder glücklich wieder zum Städtlein hinaus, und über die Grenzen.

[1811]

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Hebel, Johann Peter. Prosa. Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes. Wie der Zundelfrieder eines Tages aus dem Zuchthaus entwich. Wie der Zundelfrieder eines Tages aus dem Zuchthaus entwich. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-4358-F