28.

Der bleiche, herbstliche Halbmond
Lugt aus den Wolken heraus;
Ganz einsam liegt auf dem Kirchhof
Das stille Pfarrerhaus.
Die Mutter liest in der Bibel,
Der Sohn, der starret ins Licht,
Schlaftrunken dehnt sich die ältre,
Die jüngere Tochter spricht:
»Ach Gott, wie einem die Tage
Langweilig hier vergehn!
Nur wenn sie einen begraben,
Bekommen wir etwas zu sehn.«
Die Mutter spricht zwischen dem Lesen:
»Du irrst, es starben nur vier,
Seit man deinen Vater begraben
Dort an der Kirchhofstür.«
Die ältre Tochter gähnet:
»Ich will nicht verhungern bei euch,
Ich gehe morgen zum Grafen,
Und der ist verliebt und reich.«
Der Sohn bricht aus in Lachen:
»Drei Jäger zechen im Stern,
Die machen Gold und lehren
Mir das Geheimnis gern.«
[119]
Die Mutter wirft ihm die Bibel
Ins magre Gesicht hinein:
»So willst du, Gottverfluchter,
Ein Straßenräuber sein!«
Sie hören pochen ans Fenster,
Und sehn eine winkende Hand;
Der tote Vater steht draußen
Im schwarzen Pred'gergewand.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Heine, Heinrich. Gedichte. Buch der Lieder. Die Heimkehr. 28. [Der bleiche, herbstliche Halbmond]. 28. [Der bleiche, herbstliche Halbmond]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-487A-E