[202] XXX.
Die Schäferstunde.

Homer, Virgil, Lucan, und wer ihr Alle seyd,
Dringt durch ein Heldenlied bis zur Unsterblichkeit!
Singt göttlich, gebt sogar der Ewigkeit zu lesen,
Daß eure Helden groß, ihr größer noch gewesen.
Mir prägt kein stolzer Trieb dergleichen Lieder ein,
Mein Ruhm mag immerhin, gleich mir, vergänglich seyn;
Ich ehr' euch ohne Neid; denn soll mein Lied erschallen,
So such' ich nur dadurch den Mädchen zu gefallen.
Was ich besingen will, ist größer als der Held,
Den jeder Dichter noch für schwer zu finden hält.
Die Schäferstunde hat die Helden selbst bezwungen;
Den größten Helden hat, wer sie besingt, besungen.
Ihr Schönen zürnet nicht,
Daß meine Muse stets mit euch von Schäfern spricht.
Dem Helden einen Stand zu wählen,
Steht allemal dem Dichter frey;
Fontaine nahm die Könige der Lombardey,
Von jungen Hirten läßt sich noch weit mehr erzählen.
Amyntens Herz empfand schon längst den starken Trieb,
Von dem der große Pan selbst nicht verschonet blieb.
Den Trieb, der diesen Gott zu einem Schäfer machte;
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Den Trieb, der diesen Gott um seine Syrinx brachte.
Amyntas war verliebt, der jungen Doris Blick
Versprach ihm mit der Zeit das größte Schäferglück:
Allein so viel er auch der süßen Hoffnung glaubte,
So fehlte jedesmal, daß die Gelegenheit
Noch seiner Zärtlichkeit
Mehr, als den bloßen Wunsch, erlaubte.
Den Wunsch, den er so oft gethan,
Den sah er auch der Doris an,
Ob sie denselben gleich vor ihm verbergen wollte;
Vielleicht, damit Amynt nur stärker wünschen sollte.
Sie liebten sich, und wußten dies,
Noch eh' sie sichs gesagt, gewiß:
Doch eine Liebe will nicht nur die andre wissen;
Die Sehnsucht nach den ungezählten Küssen;
Die Wollust, sich auch da noch schmachtend anzusehn,
Wenn der verlangte Wunsch geschehn;
Die Freyheit, sich das Zärtlichste zu sagen;
Die Hoffnung, das, was man noch nie gewagt, zu wagen,
Dies alles war an ihrer Ungeduld
Nach mehrerer Erfahrung Schuld.
Doch in der Liebe kömmt das Glücke
Zwar meistentheils, nur nicht im ersten Augenblicke.
Ihr Schönen, eilt mit mir nach jener Gegend hin,
Und weil ich nur im Geiste gegenwärtig bin;
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So darf euch kein Bedenken quälen,
Mich zum Begleiter zu erwählen.
Ihr sollet den Amynt bey seiner Schäferinn
In der erwünschten Stunde sehen.
Was euer Blick hiebey zu fürchten hat,
Wird im Gebüsche nur geschehen.
Doch sollte hie und da ein Blatt
Vom Zephyr weggewehet werden,
So messet mir die Schuld nicht bey;
Seht weg, seht hin, es steht euch Alles frey.
Ich kann den Winden nicht gebieten;
Doch vor dem Zephyr hat man sich nicht stark zu hüten.
Einst trieb die Schäferinn die Heerde weiter fort.
Sie fand, und nicht umsonst, den angenehmsten Ort,
Wo Bluhm' und Gras die schönsten Farben mischten.
Das Wasser, das sich hier von steilen Felsen goß,
Die es durch ihren Grund erfrischten,
Wo es in einen Bach mit schnellem Rauschen floß;
Das Volk verbuhlter Nachtigallen,
Wo bald der Sproßer schmetternd rief,
Und bald mit Steigen und mit Fallen
Durch die verliebten Töne lief;
Die Luft, die mit den Blättern spielte,
Auf die erhitzte Fläche stieß,
Und in den frischen Bluhmen wühlte,
Wovon sie den Geruch durch diese Gegend bließ;
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Dies alles ließ die Schäferinn nicht gehen.
Sie blieb mit ihrer Heerde stehen.
Sie warf sich auf die Wiese hin;
Hier lag die schöne Schäferinn.
Sie dehnte sich, und sprach mit zärtlichem Verlangen:
Ach! könnt' ich doch Amynten hier umfangen!
Sprach sie nichts mehr? O ja, ein halbverschlucktes Ach!
Ein matter Blick, der aus den blauen Augen brach,
Ein Busen, welcher sich aus Ungeduld empörte,
Die sagten dem genug,
Der hier im Busche lag, und so verliebt als klug,
Ich weiß nicht, ob mehr sah', als hörte.
Kurz, da die Schäferinn sich dessen nicht versah,
So stund auch schon Amynt vor ihren Augen da.
Doch, wie er in den Busch gekommen,
Hab' ich noch nie gefragt, und auch noch nie vernommen.
Vor Schrecken glaubte dies die junge Doris kaum.
Sie hielt den Anblick erst für einen leeren Traum.
Sie dacht', ein Schlummer wollt' ihr diese Freude machen,
Drum furchte sie nichts mehr, als plötzlich aufzuwachen.
Ihr Schönen, hat euch nie von einer Lust geträumt,
Die euer Mund oft dem mit Ungestüm versagte,
Der es, sie wachend zu erbitten, wagte,
Und die ihr ihm oft träumend eingeräumt?
Ihr Schönen, habt ihr dies erfahren,
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So darf ich euch nichts mehr
Von ihrer Lust zu träumen offenbaren.
Was aber that Amynt? Ist dies wohl Fragens werth?
Ein Schäfer, der den schönsten Augenblick begehrt,
Bedienet sich der vortheilhaften Zeit
Zur zärtlichsten Verwegenheit.
Er sprach, sie sprach, und was? Dies könnt ihr leicht errathen.
Ich sag' euch itzt nichts mehr, als was sie thaten.
Ein halb gegebener und halb geraubter Kuß
War des verliebten Schäfers Gruß.
Drauf folgten schon die zärtlichsten Gebehrden,
Die leichter nachgemacht, als hier beschrieben werden.
Sie blickte den Amynt mit Furcht und Schalkheit an,
Mit Schalkheit, weil er ihr noch nichts gethan;
Mit Furcht, damit ers auch nicht wagen sollte.
Kurz, Doris wollte nicht, und wollte.
Ihr Auge sprach mehr, als ihr Mund verschwieg;
Er seufzte nur, indem der schöne Busen stieg.
Hier warf Amynt mit neuer Lust
Die Finger auf die warme Brust,
Worauf er, wie er zärtlich glaubte,
Die Freyheit, mehr zu rauben, raubte.
Sein Mund erwählte diesen Ort,
Mit jedem Kusse gieng ein lauter Seufzer fort,
Mehr Schätze wurden hier entdeckt und ausgegraben,
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Als Erd' und Meer in ihren Gründen haben.
Die kleine schöne Hand
That zwar dem Schäfer Widerstand,
Doch so, damit Amyntas fühlte,
Daß ihr beredter Griff mehr spielte,
Als ihm nach den verliebten Waffen zielte.
Doch was Amynt bisher gethan,
Das sahe Doris noch für nicht gefährlich an.
Allein itzt hielt er sie bey beiden Händen;
Itzt schlang er seinen Arm um die gewölbten Lenden;
Itzt macht' er sich zu dem geschickt,
Was keinem Schäfer leicht so hurtig glückt.
Jedoch die Nymphe riß sich los.
Ihr Eifer war so groß,
Daß sie Amynten hieß, aus ihren Augen gehen.
Sie sagte dies, allein sie sagt' es mit Verdruß.
Jedoch ein kluger Schäfer muß
Die Worte nicht, die Blicke nur verstehen.
Er blieb und fieng sogar das Werk verwegner an.
Ihr Schönen sagt, wie er verwegner scherzen kann?
Er scherzte so, damit sie merken sollte,
Daß er im Ernste scherzen wollte.
Kurz, er entblößete der jungen Doris Knie;
Er sah es, doch mit so viel Lust, als Müh.
Ihr Mädchen, zürnet nicht, daß er ihr Knie gesehen,
Sonst sag' ich nichts von dem, was mehr geschehen.
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Genug, daß Doris widerstritt,
Und was er that, erst überwunden, litt.
Allein er wußte sie mit hundert kleinen Sachen
So lüstern, als erhitzt, zu machen.
Die Augen funkelten, die Zunge selbst ward schwer,
Die Lippen zitterten, die volle Brust weit mehr,
Der Athem ward mit Schlucken eingefangen,
Von Hitze glühten ihre Wangen,
Sie rief, Amynt, ach geh! Sie schrie, Amynt, ach nein!
Hier wurden ihr die Augen klein,
Itzt mangelte die Kraft zu widerstreben,
Drum mußte sie sich dem Amynt ergeben.
Doch eh' sie sich ergab, rief sie die Götter an:
Thut mir anitzt, was ihr den Nymphen oft gethan,
Und laßt auch mich
Die Wohlthat der Verwandlung spüren.
Verwandelt diesen Ort in einen finstern Wald,
Doch schonet hier der menschlichen Gestalt!
Denn diese mogte sie am wenigsten verlieren.
Ihr Bitten ward erhört. Ein dichter Rosenstrauch
Wuchs neben ihr hervor, und der verbarg sie auch.
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Allein dies war kein Wald: jedoch, ich muß nur lachen,
Die Götter müßten ja
Die Erde voller Wälder machen.
Genug sie wurden doch durch ihren Busch bedeckt.
Ihr meynt, sie lagen hier nun ganz und gar versteckt?
Der Busch verbarg sie nur den neidischen Gesichtern,
Doch aber nicht vor den verschwiegnen Dichtern.
Ihr Schönen, bleibet hier,
Und waget noch den letzten Blick mit mir.
Seht hin, ich sehe schon die leichten Blätter weichen,
Ich sehe den Amynt sein schönstes Glück erreichen;
Sagt, ob ihr dieses sehen könnt?
Ihr schweigt, doch mir ist mehr, als euch, zu sehn vergönnt,
Ihr blickt aus Vorwitz hin, drum kann es euch nicht glücken,
Ihr könnt die Doris nicht vor dem Amynt erblicken.

Aus dieser Erzählung kann man Rosts Genie am beßten beurtheilen. Bloß deßwegen hat sie sich in diese Sammlung geschlüpft.

[210] In den wenigen Erzählungen, die wir von ihm haben, übertrifft er bisweilen den la Fontaine an Naivetät; nichts destoweniger aber werden Viele mit mir wünschen, daß er etwas mehr beschrieben haben mögte, als das, was Jedermann weiß. Seine Doris und sein Amynt sind ein Paar gewöhnlicher Menschenkinder. Das Horazische vtile ist gar nicht bey ihm zu finden, und sein dulce ist weder Wein aus Cypern, noch aus Surento, noch Champagne.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Heinse, Wilhelm. Erzählungen. Erzählungen für junge Damen und Dichter. Zweyter Band. 30. Die Schäferstunde. 30. Die Schäferstunde. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-4D68-E