12.

Die weichen Winde streicheln mich vom Garten,
Mein Herz ward fröhlich aus Melancholie;
Mag nun das Schicksal mischen seine Karten,
Ich fand die Ruh, nach der ich lange schrie.
Mitunter nur spukt's auf aus längstverscharrten
Gebeinen meiner Unrast, schwanke Knie
Gehn schlotternd um, des Glückes Fetzen flattern,
Aus Gräbern rascheln toter Reue Nattern ...
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Die nicht mehr Nattern sind. Nur ausgedörrte,
Phantastisch aufgeblasne Schlangenbrut,
Die böse Laune mir vors Auge zerrte,
Zuwidersinn und quälerische Wut,
Wenn ich den Ausblick mir ins Licht versperrte
Aus grauem, grüblerischem Untermut –
So regt sich wohl zuweilen halb in Träumen
Wahnwitzige Hast, zu zügeln nicht, zu zäumen.
Ein Reiter war ich auf dem schnellsten Rosse,
Kopf dicht an Hals, hussa! Die Mütze flog,
Vom Kot des Hufs bespritzt, weit in die Gosse,
Indes des Pferdes Nüster Stickluft sog.
Der jähe Wirbelsturm ward mein Genosse,
Der Birke, Pappelbaum zur Erde bog –
So ging es rasend über Stock und Steine,
Der Himmel droht' in schwefelgelbem Scheine.
Pardauz! Dies Wort blieb eingebrannt der Lippe,
Und doch war's schön: der Schwung von Fall zu Fall.
Niemals beneid' ich die normale Sippe,
Die zahme Kracken vorführt aus dem Stall.
Die Spottlust der Passanten war mir schnippe,
Zu köstlich schien der wilde Intervall
Von Sturz zu Sturz: und brach man ein paar Knochen,
So kam man doch ins Leben nicht gekrochen.
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Der Hundetrott wird mir wohl kaum gelingen,
Jag' ich auch just nicht mehr so toll drauf los.
Solang noch Kraft in meiner Seele Schwingen,
Geht's munter weiter: Welt, wie bist du groß!
Den selbstgezähmten Hengst soll keiner dingen,
Daß er ihn spannt zu Peitschenhieb und -stoß
– Schon der Gedanke liegt mir schwer im Magen –
Vor seinen traurigen Furagewagen ...
Vom Garten streicheln mich die weichen Winde,
Aus Schwermut ward mein Herz ein fröhlich Ding,
Hier ist mein Weib, bei der die Ruh ich finde,
Nach der umsonst ich auf die Suche ging.
Hier ist der Baum, dran ich mein Rößlein binde,
Hier ist der Ast, dran ich das Zaumzeug hing –
Ich weiß, mag ich nun rasten oder reiten,
Du bist bei mir, dein Herz schlägt mir zur Seiten.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Henckell, Karl. Gedichte. Buch des Lebens. Neues Leben. 12. [Die weichen Winde streicheln mich vom Garten]. 12. [Die weichen Winde streicheln mich vom Garten]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-4D96-6