[222] Das große Ungeheuer

Berlin, das große Ungeheuer,
Sperrt auf den Schlund voll Dampf und Feuer,
Indes es noch sein Futter schlingt,
Und schnalzt und singt:
»Welch Fraß! Mein Bauch wird immer breiter.
Solch fette Mahlzeit stimmt mich heiter.
Um frische Beute krümmt im Kranz
Sich schon mein Schwanz.
O himmlisch, was ich alles schnappe!
Solch Jungfernfleisch ist nicht von Pappe.
Zehntausend Jungfraun von dem Land –
's ist Zuckerkand!
Die Unschuld mundet mir am besten,
Sie dient aus dem Effeff zum Mästen,
Halbhalb mit einem feisten Faun –
's schmeckt wie Kapaun.
Mit Wonne kost' ich Kupplerinnen,
Weil sie aus Keuschfleisch Gold gewinnen,
Mit Kind und Wüstling gibt's ein Schmaus:
Schmuck spuck' ich aus.
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Ich muß zwar Talmi faßweis schlucken,
Es geht nicht alles auszuspucken,
Sonst würd' ich bald so dünne sein
Wie'n Blindschleichlein.
Heut fraß ich neunundneunzig Schwindler,
Den Hundertsten gab ich an Spindler
Zum Reinigen – weil darmverschlingt,
Was zu sehr stinkt.
Ein Louis ist 'ne Koryphäe –
Bloß das Ballonmützlein schmeckt zähe –
Und schleppt er Meuchelopfer mit:
Bon Appetit!!
Jüngst blieb zu meinem argen Schrecken
Ein Spitzel schier im Hals mir stecken,
Das roch nach Schmiere, solch ein Russ' –
Welch Hochgenuß! ...
Ich bin ein internationaler
Spreedrach, und zehn Millionen Taler
Weis' ich dem Konkurrenzdrach an,
Der so viel kann!«

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Henckell, Karl. Das große Ungeheuer. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-4EBC-A