[135] Von Volkes Gnaden

Der mich »Poet von Volkes Gnaden« heißt,
Was meinst denn du mit diesen »Volkes Gnaden«?
Gewandelt bin ich auf der Dichtung Pfaden,
Als mir noch fremd des »Volkes« Gott und Geist.
Mir ist die Melodie der Leidenschaft,
Der Rhythmus ringender Natur verbunden,
In Lieder tauch' ich Wonnen ein und Wunden,
In Bilder hauch' ich höchste Lebenskraft.
Weil mein Gefühl sich blutend aufgebäumt,
Wo immer die Gewalt der Lüge wütet,
Weil ich das Feuer der Natur gehütet,
Wo Satzung feig und schläfrig fortgeträumt:
Weil mich der Wahrheit Lust und Lieblichkeit
Gelockt, mit ihr durch dick und dünn zu brechen,
Zu kränzen sie, die Schwert und Dornen stechen,
Weil freie Menschheit auch mich selbst befreit:
Drum schritt ich einsam aus dem Todessaal,
Wo sich die Geister des Vergangnen morden,
Und Dichter neuen Volks aus eigner Wahl
Bin ich im Reich der deutschen Kunst geworden.

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Henckell, Karl. Von Volkes Gnaden. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-514B-D