[254] Simson und Delila

Burleske, frei nach dem Buch der Richter


Simson, den der Herr gerüstet
Mit Gewalt erschrecklich groß,
Sprach zum Weibe: »Mich gelüstet!«
Und er lag in ihrem Schoß.
Und das Weib quält ihn am Tage,
Und es plagt ihn bei der Nacht:
»Sage, lieber Simson, sage,
Worin stecket deine Macht?«
Und der den Philistern Keile
Gab mit einem Tiergebiß,
Der die allerdicksten Seile
Schier wie Spinneweb zerriß,
Der, um seine Kraft zu kosten,
An 'nem Hürlein nicht genug,
Noch ein Stadttor samt den Pfosten
Nächtlich auf die Berge trug:
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Dieser vorsintflutlich starke,
Wunderbar gefeite Mann
Spürte Delila im Marke,
Als er stöhnend einst begann:
»Müd und matt ist meine Seele,
Deine Suada macht mich tot,
Daß ich's länger dir verhehle,
Halt' ich nicht mehr aus. O Not!«
»Simson, lieber Simson, sage« –
Und sie setzt sich ihm aufs Knie –
»Gib mir Antwort auf die Frage,
Deine Kraft, wo stecket sie?«
»Delila, du sollst es wissen,
Du indessen ganz allein,
Schwert und Schild, das kann ich missen,
Meine sieben Locken – nein!
Niemals sind sie mir geschoren,
Denn vom Mutterleibe bin
Ich der Allmacht zugeschworen,
So da fuhr ins Eselskinn.
So da Stricke reißt wie Faden,
Solche Kraft sitzt mir im Haar,
Und du kannst mir gräßlich schaden,
Kämst du mit dem Scherenpaar.
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Meine Kräfte würden weichen,
Ja, ich würde eins, zwei, drei
Jedem Durchschnittsmanne gleichen,
Doch mit Simson wär's vorbei.«
Also sprach er zu dem Weibe
Offenherzig, ungewarnt,
Das mit dem Philisterleibe
Einen Enakssohn umgarnt.
Und das Geld, das sie bedungen,
Nahm sie aus der Spießer Hand,
Hielt ihn dann im Schlaf umschlungen,
Daß er ja sich nicht entwand.
Und in lüsternem Begehren –
Keine Träne ward geweint –
Sieben Locken ließ sie scheren
Ihrer Sippschaft ärgstem Feind.
Eh er aus dem Schlaf erwachte,
Sagt die allerschönste Zier,
Die das Liebesopfer brachte,
Leis: »Philister über dir,
Simson!« Und zum letzten Male
Büßte sie die höchste Lust,
Dekadent lag nun der Kahle
Unterhalb der treuen Brust.
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Und er lallte gegen Morgen:
»A la Hupp! ich will jetzt gehn.
Einen Löwen will ich worgen,
Ein Philisterheer bestehn.«
Ach, er konnte sich nicht wehren,
Ganz entwichen war die Kraft,
Delila ließ Simson scheren –
Simson in Gefangenschaft!
Der mit einem Eselsknochen
Sie von vorn und hinten schlug,
Ihm die Augen ausgestochen,
Ihn in Ketten dick genug!
In der Tretmühl' mußte mahlen
Simson nun das ganze Jahr –
Doch dem Blinden unter Qualen
Wieder wuchs des Hauptes Haar.
Die Philister, ihn zu höhnen,
Holten ihn aus finsterm Loch:
»Unser Siegsfest zu verschönen,
Spiele, Simson, spiele doch!«
Zwischen riesigen Säulenbasen
An dem fürstlichen Palast
Ließ er da die Leier rasen,
Daß den Stein ein Grausen faßt.
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Furchtbar gellten seine Töne:
»Hoch Philister, hipp hurra!«
Während zu vom Dach die Schöne
Samt dreitausend Spießern sah.
Ob des blinden Spielmanns lachte
Sich ein Schwall die Lippen schief –
Da in Simsons Busen wachte
Auf der alte Gott und rief:
»Simson, zwischen Fuchsenschwänzen
Zündetest du einst den Brand,
Jagtest sie zu Feuertänzen
Mitten in Philisterland.
Korn und Öl und Wein und Mandeln
Stand in Flammen lichterloh –
Simson, laß dich nicht verschandeln,
Pack den Stein, als wär' es Stroh!«
Und er fassete die Säulen
Rechter, linker Hand zumal,
Und mit Krachen, Prasseln, Heulen,
Donnerähnlichem Skandal,
Als er sich energisch reckte,
Sank in Trümmer das Palais –
Delila ersoff im Sekte
Mit kaputtem Portmonnäh.
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»Meine Seele möge sterben
Mit Philistersturz!« er sprach,
Als er unter Schutt und Scherben,
Leichen rings, zusammenbrach ...
Hat's zum Weib ihn auch gelüstet,
Siegreich sühnt' im Tod sein Los
Simson, den der Herr gerüstet
Mit Gewalt erschrecklich groß.

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TextGrid Repository (2012). Henckell, Karl. Gedichte. Buch des Kampfes. Simson und Delila. Simson und Delila. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-5265-9